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Serie «The Chosen»: Mega-Hit und völlig neu zugleich
Aus Perspektiven vom 06.07.2024. Bild: Copyright THE CHOSEN LLC
abspielen. Laufzeit 41 Minuten 45 Sekunden.

Streaming-Hit «The Chosen» Jesus Christus Streaming-Star: Der Hype um eine religiöse Serie

150 Millionen Zuschauende, Events mit rotem Teppich und haufenweise Fanartikel: In den USA ist die Serie «The Chosen» ein Renner – hierzulande kennen sie nur Eingeweihte. Worum geht es im Streaming-Erfolg rund um Jesus von Nazareth und wen erreicht sie?

Während der Corona-Zeit hatte sich Karoline Kuhn die App von «The Chosen» heruntergeladen und begonnen, die Folgen der Serie zu streamen. Was sie erwartet hatte, war eine etwas kitschige, nicht sehr professionelle Verfilmung der Jesus-Geschichte.

Stattdessen zog die Serie sie rein. So sehr, dass sie beschloss, ein deutschsprachiges Chosen-Team mitaufzubauen. Seither übersetzt sie alle Folgen inklusive Begleitmaterialien. Teams in etwa 50 Ländern weltweit tun es ihr gleich.

Eine Gruppe Menschen in antiker Kleidung läuft durch eine unbewaldete Landschaft
Legende: Sympathische Figuren auf Pfadi-Ausflug? «The Chosen» – das heisst: Evangelien mit starkem Indentifikations-Potential. Mit Jonathan Roumie (Mitte) als Jesus. The Chosen LLC

Die Texte des Neuen Testaments sind eigentlich knapp erzählt. «The Chosen» macht daraus sieben Staffeln. Dazu mussten die Figuren zu filmreifen Charakteren entwickelt werden.

Das sei überraschend gut gelungen, sagt Moisés Mayordomo, Professor für Neues Testament an der Universität Basel und Filmliebhaber. Sie wirken nun mehrdimensional, haben interessante Vorgeschichten.

Was steckt hinter «The Chosen»?

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«The Chosen» ist eine mehrstaffelige Serie über das Leben von Jesus Christus. Das Serienprojekt ist über Crowdfunding finanziert, die Folgen sind kostenlos über eine App und die Internetseite der Serie verfügbar.

Die erste Staffel ist aktuell in zwölf Sprachen synchronisiert, Untertitel gibt es in über 50 Sprachen.

Von den Beteiligten wird «The Chosen» als das weltweit grösste durch Crowdfunding finanzierte Medienprojekt bezeichnet.

Dass die Serie ihr Publikum findet, versteht er gut: Die Jüngerschaft ist divers und sympathisch, sie bietet viele Möglichkeiten für Identifikationen. Matthäus wird als Autist dargestellt. Jakobus, der Kleine, hat eine Behinderung. Frauen sind ebenso wichtig wie Männer.

Verfängt Jesus als Kumpeltyp?

Und die Freunde Jesu reden ähnlich kumpelhaft miteinander, wie es junge Erwachsene heute tun. Es entsteht so etwas wie ein «Camp-Feeling». Jesus wirke dabei wie der ewige Sozialarbeiter, zu dem man jederzeit kommen könne.

Das aber werde mit der Zeit aber auch etwas langweilig, so Filmkenner und Neutestamentler Mayordomo. Ecken und Kanten oder markante Jesus-Sprüche aus dem Neuen Testament finden sich beim Chosen-Jesus der ersten Staffeln nicht.

Er selbst sei wohl nicht das ideale Publikum für die Serie – schliesslich läuft bei ihm immer die Analyse mit. Etwa die Frage, welchen Stoff aus welchem Evangelium die Filmemacher wie verweben, wo sie etwas hinzudichten und was sie auslassen. Die Serie sei auf Erlebnis ausgerichtet, auf Emotion. Bei ihm habe das – bei aller Wertschätzung – selten gefruchtet.

Jesus ist nahbar – und klar jüdisch

Für Karoline Kuhn hingegen geht das Konzept auf. Die Serie sieht sie nicht als typisch evangelikal an, auch wenn Autor und Kopf von «The Chosen», Dallas Jenkins, einen dezidiert evangelikalen Hintergrund hat. Einige Aspekte sind progressiv, etwa die Rolle der Frauen oder die Diversität. Neu ist im Vergleich zu anderen Jesus-Verfilmungen auch, wie menschlich und nahbar Jesus dargestellt wird.

Zwei Männer umarmen sich.
Legende: Messias für alle Menschen: Eine Botschaft, die «The Chosen» mit dem warmherzeigen Jesus-Darstellung zu vermitteln weiss. The Chosen LLC

Jesus wird in «The Chosen» eindeutig jüdisch gezeichnet, nicht als neuer Religionsgründer – eine der grossen Errungenschaften der Serie, so Karoline Kuhn. Auch Moisés Mayordomo hebt hervor, die Serie sei «in ein jüdisches Kolorit» getaucht.

Vor dem Hintergrund des christlichen Antijudaismus sei die Frage des Jüdischseins Jesu zentral. Jesus als den Gründer einer neuen Religion zu zeigen, wie es in anderen Rezeptionen der Fall ist, sei dabei weder historisch korrekt noch hilfreich für den christlich-jüdischen Dialog.

Woher kommt christlicher Antijudaismus?

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Der christliche Antijudaismus hängt mit dem Beginn des Christentums zusammen. Die Jesus-Bewegung war zuerst eine innerjüdische Reformbewegung, Jesus war ein jüdischer Lehrer. Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass sich die Reformbewegung erst zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert unserer Zeit aus dem Judentum herauslöste und dann also erst von einer eigenständigen Religion die Rede sein kann.

Als sich die Jesusbewegung aus dem Judentum abspaltete, gab es Spannungen, etwa über die Frage, welche Gesetze noch galten, welche nicht. Nichtjüdische Menschen grenzten sich ab, etwa durch den Vorwurf, «die Juden» hätten den «Gottessohn» getötet. So wurden «die Juden» zu «den Anderen» par excellence.

Christenmenschen haben deshalb eine Mitverantwortung an dem, was Jüdinnen und Juden angetan wurde und wird. Eine Theologie, die darauf sensibilisiert ist, achtet deshalb sehr genau darauf, wie Jesus und sein jüdischer Kontext dargestellt wird.

Doch dass Jesus der Messias für alle Menschen ist, gehört fest zur evangelikalen Theologie und auch diese Botschaft vermittle sich in der so warmherzig gezeichneten Serie, so Mayordomo: «Die Serie will ganz eindeutig in einen Begegnungsraum mit Jesus führen. Und zwar mit dem Jesus, der in ‹The Chosen› gezeigt wird.»

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Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 7.7.2024, 8:30 Uhr.

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