Während der Corona-Zeit hatte sich Karoline Kuhn die App von «The Chosen» heruntergeladen und begonnen, die Folgen der Serie zu streamen. Was sie erwartet hatte, war eine etwas kitschige, nicht sehr professionelle Verfilmung der Jesus-Geschichte.
Stattdessen zog die Serie sie rein. So sehr, dass sie beschloss, ein deutschsprachiges Chosen-Team mitaufzubauen. Seither übersetzt sie alle Folgen inklusive Begleitmaterialien. Teams in etwa 50 Ländern weltweit tun es ihr gleich.
Die Texte des Neuen Testaments sind eigentlich knapp erzählt. «The Chosen» macht daraus sieben Staffeln. Dazu mussten die Figuren zu filmreifen Charakteren entwickelt werden.
Das sei überraschend gut gelungen, sagt Moisés Mayordomo, Professor für Neues Testament an der Universität Basel und Filmliebhaber. Sie wirken nun mehrdimensional, haben interessante Vorgeschichten.
Dass die Serie ihr Publikum findet, versteht er gut: Die Jüngerschaft ist divers und sympathisch, sie bietet viele Möglichkeiten für Identifikationen. Matthäus wird als Autist dargestellt. Jakobus, der Kleine, hat eine Behinderung. Frauen sind ebenso wichtig wie Männer.
Verfängt Jesus als Kumpeltyp?
Und die Freunde Jesu reden ähnlich kumpelhaft miteinander, wie es junge Erwachsene heute tun. Es entsteht so etwas wie ein «Camp-Feeling». Jesus wirke dabei wie der ewige Sozialarbeiter, zu dem man jederzeit kommen könne.
Das aber werde mit der Zeit aber auch etwas langweilig, so Filmkenner und Neutestamentler Mayordomo. Ecken und Kanten oder markante Jesus-Sprüche aus dem Neuen Testament finden sich beim Chosen-Jesus der ersten Staffeln nicht.
Er selbst sei wohl nicht das ideale Publikum für die Serie – schliesslich läuft bei ihm immer die Analyse mit. Etwa die Frage, welchen Stoff aus welchem Evangelium die Filmemacher wie verweben, wo sie etwas hinzudichten und was sie auslassen. Die Serie sei auf Erlebnis ausgerichtet, auf Emotion. Bei ihm habe das – bei aller Wertschätzung – selten gefruchtet.
Jesus ist nahbar – und klar jüdisch
Für Karoline Kuhn hingegen geht das Konzept auf. Die Serie sieht sie nicht als typisch evangelikal an, auch wenn Autor und Kopf von «The Chosen», Dallas Jenkins, einen dezidiert evangelikalen Hintergrund hat. Einige Aspekte sind progressiv, etwa die Rolle der Frauen oder die Diversität. Neu ist im Vergleich zu anderen Jesus-Verfilmungen auch, wie menschlich und nahbar Jesus dargestellt wird.
Jesus wird in «The Chosen» eindeutig jüdisch gezeichnet, nicht als neuer Religionsgründer – eine der grossen Errungenschaften der Serie, so Karoline Kuhn. Auch Moisés Mayordomo hebt hervor, die Serie sei «in ein jüdisches Kolorit» getaucht.
Vor dem Hintergrund des christlichen Antijudaismus sei die Frage des Jüdischseins Jesu zentral. Jesus als den Gründer einer neuen Religion zu zeigen, wie es in anderen Rezeptionen der Fall ist, sei dabei weder historisch korrekt noch hilfreich für den christlich-jüdischen Dialog.
Doch dass Jesus der Messias für alle Menschen ist, gehört fest zur evangelikalen Theologie und auch diese Botschaft vermittle sich in der so warmherzig gezeichneten Serie, so Mayordomo: «Die Serie will ganz eindeutig in einen Begegnungsraum mit Jesus führen. Und zwar mit dem Jesus, der in ‹The Chosen› gezeigt wird.»