Als ob es nicht schon genug rauchen würde. Während Anselm Kiefer aus einer langstieligen Pfanne flüssiges Blei auf ein Bild schüttet, hängt ihm eine brennende Zigarre aus dem Mundwinkel.
Später lässt er das Blei aus einem Bottich, der an einem Bagger angebracht ist, auf das Werk fliessen. «Ich kann das weiter runternehmen», sagt der Baggerführer. «Dann spritzt es nicht so». «Ich will aber, dass es so spritzt», entgegnet Kiefer.
Ein gigantisches Werk
Wenn Anselm Kiefer zu Werke geht, wird es laut und stickig. Er hantiert mit Flammenwerfern und flüssigem Metall, klatscht nahezu beiläufig mit einer grossen Kelle dicke Farbwulste auf Leinwände.
Und es wird immer auch gross. Mit Hebebühnen steigt Kiefer zu gigantischen Leinwänden empor, seine Werke sind meterhohe Trümmerberge, Türme, Flugzeuge. Kiefer arbeitet in gigantischen Fabrik- und Lagerhallen, die zugleich Arbeitsort und Museum sind.
Absteigen und eintauchen
Wim Wenders nimmt uns in seinem Film «Anselm – Das Rauschen der Zeit» mit auf eine Tour durch diese Hallen. Kiefers Zigarrenrauch folgend, steigen wir mit Wenders in endlose Schächte und Katakomben hinab, schweben durch Hallen, die so weitläufig sind, dass der Künstler mit einem Fahrrad hindurchrauscht. Dabei zeigt er uns einzelne Werke, indem er ab und zu eine rollende Leinwand anstösst, in einer Schublade wühlt oder an einer Skulptur zupft.
Wim Wenders’ 3D-Film ist schon deshalb verdienstvoll, weil er uns Zutritt zu diesen spektakulären Ateliers verschafft und uns einen prächtig knorrigen Reiseführer zur Seite stellt. Kiefer schlurft schweigend durch die Hallen, öffnet da und dort riesige Flügeltüren und blickt mit zugekniffenen Augen auf sein eigenes, in jeder Hinsicht gigantisches Werk.
Überwältigende Kiefer-Schau
Am besten ist Wenders Film, wenn er nichts mehr tut, als Kiefers Werk filmisch zu erfassen. Wenn er zum Kurator einer überwältigenden Kiefer-Schau wird. Dass das in 3D geschieht, steigert das Spektakel noch weiter.
Aber «Anselm – Das Rauschen der Zeit» ist leider auch ein klassischer Dokumentarfilm. Die Biografie wird in historischen Spielszenen rekonstruiert, für Archivaufnahmen wird ein Fernseher ins Bild gerollt – dafür bräuchte es nun wirklich keine 3D-Brille.
Dem Film bringen diese konventionellen Doku-Elemente wenig. Überdeutlich werden Parallelen von Biografie und Werk herausgestrichen und in wenig erhellenden Spielszenen dürfen wir zum Beispiel ins Kinderzimmer von Anselm Kiefer gucken.
Manchmal grenzt Wenders’ Hang zur Poesie an Kitsch: Wenn er Kiefer seinem kindlichen Ich begegnen lässt, oder wenn allenthalben bedeutungsschwangere Stimmen Gedichtfragmente wispern.
Werk und Künstler
Wim Wenders deckt in den dokumentarischen Einschüben die wichtigsten Punkte der Künstler-Vita ab. Im Zentrum steht Kiefers Hadern damit, wie Deutschland mit seiner Kriegsschuld umging.
Kiefer war als junger Mann entsetzt darüber, dass in Deutschland nicht über die Schrecken des Holocaust gesprochen wurde. Seine provokative Auseinandersetzung mit den deutschen Verbrechen brachten Kiefer in seiner Heimat dann immer wieder heftige Kritik ein.
Als Dokumentarfilm und Künstlerbiografie ist «Anselm» wenig berauschend. Aber als Atelierschau und Museumsbesuch, die den Grossteil des Filmes ausmachen, ist das spektakuläre 3D-Werk eine Wucht.
Kinostart: 12.10.2023