Wer kennt das nicht? Am Feierabend drehen sich die Gedanken um den Job, bis hinein in schlaflose Nächte, in denen Myriaden von Lohnempfängern Arbeitsprobleme wälzen, die Geduld der Lebenspartner mit Klagen über die Kollegen strapazieren oder überstundengetrieben einem Burnout entgegensteuern.
Andersherum tragen Hundertschaften von Arbeitnehmern ihre privaten Probleme in den Büroalltag: Sie kompensieren bei Mitarbeitenden, was sie zu Hause nicht zu melden haben, sind unkonzentriert wegen Liebeskummer und familiärer Belastungen.
Die Serie «Severance» bietet auf solch Ungemach eine originelle Antwort: Dank eines chirurgischen Eingriffs im Gehirn, weiss der Arbeitnehmer nichts von seinem privaten Ich – ausser, dass es existiert. Im Umkehrschluss vergisst dieser Mensch pünktlich um 17 Uhr seinen Arbeitsalltag und widmet sich unbelastet seinem Privatleben.
Privatheit versus Öffentlichkeit
Für Mark S., gespielt von Adam Scott («Big Little Lies»), scheint dieses Angebot die Lösung seiner Probleme zu sein. Seit dem Tod seiner Ehefrau gilt er als arbeitsunfähig. Der einstige College-Professor sieht in der Trennung zwischen Privat und Arbeit die Chance, seinen tragischen Verlust zumindest im Büro vergessen zu dürfen.
In seiner extremen Darstellung der Trennung greift «Severance» nicht nur die Work-Life-Debatte auf satirische Weise auf. Auch Themen wie die Sinnhaftigkeit von Arbeit, Wertschätzung am Arbeitsplatz oder Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Privatheit und Öffentlichkeit werden in humorvoll bizarren, oft auch mysteriösen Szenen aufgegriffen.
So jagt Mark S. in der Abteilung «Makrodatenverfeinerung» auf dem Computerbildschirm nach Zahlen, um sie in virtuellen Körbchen zu verstauen. Ebenso sinnlos erscheinen die Aufgaben der Kollegen der Optik- und Design- oder der Wellnessabteilung. In der zweiten Staffel, die derzeit gestreamt werden kann, begegnet Mark S. gar gummibestiefelten Kolleginnen, die im Grossraumbüro Ziegen hüten.
Ein grosses Vergnügen für den Feierabend
Die radikale Unterscheidung von Arbeits- und Privatleben durch das sogenannte «Severance»-Verfahren gestaltet sich zunehmend nachteilig für alle Beteiligten. Vor allem die Arbeitnehmer – in der Serie liebevoll «Innies» genannt – fühlen sich missbraucht.
Zum einen durch den sektenartigen Kontrollwahn der Firma Lumon Industries – sie hat das Trennungsverfahren erfunden. Zum anderen von ihren eigenen privaten Ichs – den sogenannten «Outies», die sie mit der Entscheidung für den Eingriff dazu zwingen, «Bullshit-Jobs» zu verrichten und auf eigene Privatheit zu verzichten.
Deutlich erkennbar ist die Handschrift des Co-Autors und Regisseurs Ben Stiller, den meisten bekannt als Komiker aus Komödien wie «Night at the Museum». Ihm ist wohl auch die Besetzung von Stars wie Patricia Arquette und Christopher Walken zu verdanken, die dem netten Mark S. als zweifelhafte Kollegen zu schaffen machen.
Die Serie ist ein gelungener Kommentar zur Entfremdung unserer Arbeit und ein grosses Vergnügen für den Feierabend. Nicht nur zum Entspannen, denn es besteht eine kleine Chance darauf, dass die seit Monaten gärende innere Kündigung am nächsten Morgen laut vollzogen wird.