Auf einer Wiese liegt ein abgetrenntes Ohr. Eine Frau findet eine Videokassette, die sie mit ihrem Mann zeigt, heimlich im Schlaf gefilmt. In einem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer klettert plötzlich eine dämonisch lachende Gestalt über die Couch.
In den Filmen von David Lynch werden Idyllen urplötzlich von Horror durchbrochen. Schönheit und Schrecken liegen nah beieinander, sind möglicherweise sogar dasselbe. Überall tun sich Abgründe auf, unter allem brummt dumpf eine unerklärliche Bedrohung.
Verstörende Kinokunst
Lynchs Filme gleichen Albträumen. Im Verlaufe der Werksgeschichte entzogen sie sich immer mehr gängiger Erzähl-Logiken. Meisterwerke wie «Lost Highway» oder «Mulholland Drive» lassen sich kaum schlüssig erklären. Am besten funktionieren diese Filme, wenn man sich auf ihre Traumhaftigkeit einlässt, auf die Atmosphäre, das Nebeneinander von Schrecken und Schönheit.
Seinen Tonfall hatte Lynch schon in seinem allerersten Film gesetzt, dem fantastisch bizarren Schwarzweiss-Kunstwerk «Eraserhead» (1977). Bis zu den 90ern folgten vergleichsweise stringente Werke, einige von ihnen sind grandios («Blue Velvet», «The Straight Story»), manche schrecklich misslungen («Dune») und andere irgendwo dazwischen («Wild at Heart»).
In «Twin Peaks» stimmt was nicht
Unvergessen auch die Serie «Twin Peaks». Die erste Staffel war ein bis dahin ungesehen rätselhaftes TV-Ereignis. Sie erzählt von einer Kleinstadt, die vom Tod einer jungen Frau erschüttert wird. Die zweite Staffel litt unter Produktionsschwierigkeiten und dem schwindenden Interesse der Macher, was zu einem abrupten und unbefriedigenden Serienende führte.
Lynch kehrte immer wieder nach «Twin Peaks» zurück. Es folgten der Spielfilm «Fire Walk with Me» und eine spät nachgelegte dritte Staffel. Hier verzettelte sich Lynch – genauso wie in seinem letzten Spielfilm «Inland Empire» – in seinen wirren Traumwelten.
Malerei, Fotografie, Musik
Lynchs Markenzeichen war die gewachste Haartolle, der schwarze Anzug, frisch gebohnerte Schuhe und eine brennende Zigarette. Sein stechender Blick und die langsame, eindringliche Sprache machten ihn zu einer eigenwilligen Erscheinung.
Als Filmemacher war er ein Autodidakt, der stets auf die Bilder in seinem Kopf vertraute. Er hatte Malerei studiert, war neben dem Filmemachen immer auch als Maler und Fotograf aktiv. Genauso wichtig war die Musik – prägend die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Angelo Badalamenti, die nicht nur den magischen Soundtrack zu «Twin Peaks» hervorbrachte, sondern auch Musik zu fast allen anderen Lynch-Filmen.
Nach «Inland Empire» verlor Lynch das Interesse am Film, wurde stattdessen als Musiker immer produktiver – auch hier verstand er sich als Laie, der Musik ganz nach seinem Gespür komponierte. Daneben war Lynch ein Verfechter der transzendentalen Meditation von Maharishi Mahesh Yogi. Mit grossem Aufwand betrieb er Programme, die die Methode weltweit an Schulen unterrichteten. Dafür erntete er auch Kritik, die Strömung ist umstritten.
Einen wie Lynch wird es in Hollywood nicht mehr geben. Lynch gelang es, die Bilder in seinem Kopf auf die Leinwand zu bringen, indem er seinen ganz eigenen Zugang zum Filmemachen konsequent verfolgte. Diesem surrealistischen Schaffen verdanken wir Filme, die gerade wegen ihrer Eigenständigkeit zeitlose, überwältigende Leinwandträume sind.