«Krebsstation», «Der erste Kreis der Hölle», «Archipel Gulag» – die Reihe der berühmten Romane von Alexander Solschenizyn ist lang.
Der 2008 verstorbene sowjetische Dichter zählte während des Kalten Kriegs zu den bekanntesten literarischen Stimmen Russlands. Wie kaum ein anderer hat er die epische Form des Romans beherrscht.
Unerschrockener Dissident
Bis heute verlangt uns sein unerschrockener Mut Respekt ab, als Einzelkämpfer der Allmacht der Sowjetregierung entgegenzutreten.
Solschenizyn leuchtete in seinen Romanen eine der dunklen Seiten der Kommunisten aus, indem er den grauenhaften Alltag in den sowjetischen Straflagern, dem Gulag, darstellte.
Anfänge im kulturellen «Tauwetter»
1962 konnte Solschenizyn in der Sowjetunion seinen ersten Roman «Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch» veröffentlichen. Damals herrschte im Kulturbetrieb das so genannte «Tauwetter».
Kulturschaffenden war es erlaubt, einigermassen frei über die Schrecken der Stalinzeit zu schreiben
Und genau dies tat er im «Denissowitsch»-Roman. Solschenizyn griff dabei auf eigene Erfahrungen zurück. Er selbst war während Jahren Gulag-Häftling gewesen. Der Roman erregte aufgrund seiner Authentizität in der Sowjetunion und im Westen grosses Aufsehen.
Der verbotene Dichter
Als sich ab Mitte der 1960er-Jahre das offene Klima abkühlte, durfte Solschenizyn in der Sowjetunion nichts mehr publizieren.
Seine grossen Bücher wie «Archipel Gulag» erschienen in Übersetzungen im Westen.
1974 bürgerte man ihn aus: Solschenizyn lebte zuerst in Deutschland, dann in der Schweiz und in den USA.
Nach dem Mauerfall wurde Solschenizyn rehabilitiert, bekam seine sowjetische Staatsbürgerschaft zurück und kehrte 1994 nach Russland zurück
Zwiespältige Rolle
Heute ist es um das Werk Solschenizyns ruhiger geworden. Seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 hat es an politischer Brisanz verloren.
In seiner Heimat Russland spielte Solschenizyn eine seltsame Rolle. Er kritisierte offen den Zerfall der Sowjetunion, unter der er persönlich enorm gelitten hatte.
Ein grosses Russland
Solschenizyn war ausserdem der Meinung, Russland habe aufgrund seiner Lage zwischen Europa und Asien eine besondere Rolle.
Er träumte von einem Russland, in dem der russisch-orthodoxe Glaube die oberste Richtschnur wäre, die Menschen materiell bescheiden blieben und auf diese Weise ihre moralische Überlegenheit zeigten.
Solschenizyn bekam in diesem Habitus etwas von einem alttestamentarischen Propheten. Man nahm ihn in Russland kaum noch ernst.
Fragwürdiges Gebaren
Fragwürdig war Solschenizyns nationalistisches Überlegenheitsdenken allemal. Es liess ihn in die Nähe von Wladimir Putins Grossmachtpolitik rücken. Tatsächlich suchte der Präsident den Dichter für sich zu vereinnahmen – teilweise mit Erfolg.
Keine Kritik an Putin
So hielt sich der ansonsten unerschrockene Solschenizyn während des Tschetschenienkriegs mit Kritik zurück.
Es ging in diesem Krieg darum, eine abtrünnige Teilrepublik zur Raison zu bringen. Und das passte in die missionarische Rolle, die das grosse Russland in Solschenizyns Augen in der Welt spielen sollte.
Immer noch bedeutend
Dies ändert jedoch nichts an der grossen Bedeutung von Solschenizyns literarischem Werk. Auch seine Verpflichtung zur Wahrheit, die er in all seinen Romanen ohne Kompromisse einging, bleibt bedeutend.