Zürich, 21. Januar 1525: Ein erwachsener Mann lässt sich taufen. Heute keine Schlagzeile wert, damals ein Skandal. Diese erste «Glaubenstaufe» markiert den Beginn der Täuferbewegung. Von Stunde eins an wurden die Täuferinnen und Täufer als Abweichler verfolgt.
Heute leben nur noch rund 2000 Täuferinnen und Täufer in der Schweiz. Weltweit sind es über zwei Millionen. Viele führen ihren Glauben direkt auf die erste Glaubenstaufe in Zürich und das Schweizer Täufertum zurück. So auch die Mennonitengemeinde Schänzli in Muttenz, BL.
Zwar wollten Reformatoren wie Zwingli mit der Bibel in der Hand Christentum und Gesellschaft «reformieren». Sie warfen etwa alle Heiligenfiguren aus dem Zürcher Grossmünster. In Punkto Taufe aber gingen die Reformatoren weniger konsequent vor. Zu viele Neuerungen aufs Mal – auch wenn biblisch geboten – könnten die öffentliche Ordnung gefährden und damit das grosse Projekt Reformation, fürchtete Zwingli.
Alles musste staatliche Zustimmung finden, hier konkret die Einwilligung vom Rat der Stadt Zürich. Der war nicht bereit, auf die Säuglingstaufe zu verzichten, die die Täufer nicht vollziehen wollten. Denn mit den Taufregistern hatte der Staat gleich auch ein Einwohnerregister. Das diente zur Erhebung von Steuern und Aushebung von Soldaten.
Nach Jesu Vorbild leben
Nun war die Kindertaufe aber nicht biblisch – sie hatte sich erst ab dem 4. Jahrhundert umfassend etabliert. Damit zeitgleich wurde das Christentum Staatsreligion. Auch das passte den (späteren) Täufern nicht. Sie wollten leben, wie Jesus es vorgelebt habe.
Obwohl Zwingli und der Zürcher Rat es verboten hatten, taufte Konrad Grebel am 21. Januar 1525 einen ehemaligen Priester aus Graubünden, Jörg Cajacob, genannt «Blaurock». Damit war die Täuferbewegung geboren.
Die Reformatoren gerieten ausser sich. Sie schimpften die ersten Täufer «Wiedertäufer» (Anabaptisten). Denn diese tauften bereits als Kinder getaufte Erwachsene nochmals. Aus Sicht der Täufer war aber die Taufe von Kleinkindern ungültig. Nur die Glaubenstaufe, aus freier Entscheidung eines mündigen Menschen, sei richtig.
Diese Glaubenstaufe praktizieren die meisten Freikirchen bis heute. Mittlerweile ist die Erwachsenentaufe auch in reformierten Landeskirchen möglich. Damals aber, im ausgehenden Mittelalter, galt die Verweigerung der Kindertaufe als Störung der staatlichen Ordnung, also als illegal.
Täuferjäger in der Schweiz
Täufer wurden darum verfolgt und hingerichtet, auch Blaurock. 1529 wurde das Täufertum im ganzen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation geächtet. Die Verfolgung der Täufer dauerte jahrhundertelang.
Besonders aktiv war Bern: «Täuferjäger» spürten die «Staatsverweigerer» im letzten Winkel des Emmentals auf. Zur Disziplinierung der Abweichler sollten reformierte Pfarrer sorgen, die Bern eigens dafür einsetzte.
Täuferinnen und Täufer wurden in den Kerker von Schloss Trachselwald gesteckt, gefoltert, enteignet, verbannt oder gar umgebracht. Auf Trachselwald erzählt heute eine Dauerausstellung davon. «Wege der Freiheit» titelt sie und ist nicht zynisch gemeint.
Täuferinnen und Täufer flüchten
Dies alles führte zur Fluchtmigration «Taufgesinnter» nach Deutschland, in die Niederlande, nach Russland und nach Nord- und Südamerika. Am bekanntesten sind heute die Amischen mit ihren Pferdewagen.
Die Geflüchteten taten sich in Siedlungen zusammen. Sie waren fleissig, begabte Handwerker und Landwirte. Im Busch Südamerikas bauten sie sich ebenso eine Zukunft auf wie in den Weiten Nordamerikas oder Russlands. So kommt es, dass es überall auf der Welt Schweizer Familiennamen mit täuferischen Wurzeln gibt wie Ammann, Nussbaumer, Geiser, Gerber, Amstutz oder Läderach.
Manch eine «Herrschaft» holte die Vertriebenen aber auch zurück, um brache Regionen landwirtschaftlich zu erschliessen, etwa den Schweizer Jura.
Gegen Einmischung durch Obrigkeiten
Der Nonkonformismus der Täufer bezieht sich nicht allein auf die Taufe: Sie lehnen ferner das Schwören ab – ein Christ müsse doch sowieso immer die Wahrheit sagen. Zudem verweigern sie den Kriegsdienst und damit der Obrigkeit den Gehorsam.
Vor allem die Verweigerung des Armeediensts machte sie für viele «Herrschaften» suspekt. Ihre Verweigerung legitimierten Täufer mit Bibelversen wie: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!» (Apostelgeschichte 5,29).
Das Täufertum: Radikal gewaltlos?
Nicht immer blieben Täufer gewaltfrei. Nicht immer blieben Täufer unangepasst. Ein Beispiel war das sogenannte «Täuferreich von Münster», oft verfilmt und von Friedrich Dürrenmatt im Theater verewigt. Dort sei es blutig zu- und hergegangen, mit Vielweiberei, Völlerei und anarchischen Zuständen.
Der singuläre – und in der Überlieferung wohl übertriebene – Exzess hängt den Täuferinnen und Täufern bis heute zu Unrecht an. Dafür sorgte die anti-täuferische Propaganda in ganz Europa: Die Menschen sollten sich vor den Täufern fürchten.
Dabei waren und blieben sie mehrheitlich gewaltlos. Sie folgen der Bergpredigt Jesu. Darin preist er die Gewaltlosen und Friedenstifter, etwa in Matthäus 5,7: «Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes heissen.»
Zu Pazifismus und Gewaltlosigkeit bekannte sich auch die friesisch-niederländische Täuferbewegung. Ihr stand Menno Simons vor. Von ihm leitet sich eine weitere Eigenbezeichnung der Täufer ab: Mennoniten. Heute nennen sie sich untereinander auch gern nur «Mennos».
Bis heute sind sie weltweit in der gewaltlosen Konfliktbearbeitung tätig. Bei einer Umfrage in der Mennoniten-Gemeinde Schänzli war das Friedenszeugnis das meistgenannte Anliegen heutiger Täuferinnen und Täufer.
Frieden und Liebe als Ziel
Der Theologe und Pastor Lukas Amstutz ist Co-Präsident der Konferenz der Schweizer Mennoniten KMS, Dozent und Gesamtleiter am Bildungszentrum Bienenberg bei Liestal. Er meint: «Wir wollen es in der Gemeinde auch in aller Unterschiedlichkeit miteinander aushalten. Im Bemühen, den anderen zu verstehen, andere Haltungen auch stehen lassen zu können und doch einen Weg miteinander zu finden. Das begründen wir aus dem Evangelium, das uns aufträgt, versöhnte Verschiedenheit zu leben und auszuhalten. Aber das ist gar nicht so einfach, immer aufeinander – auch auf die Leisen – zu hören.»
Auf ihr friedenskirchliches Erbe beziehen sich die Mennoniten ganz besonders nach den beiden Weltkriegen. Jene Landeskirchen, die sich wie die deutsche evangelische Kirche dem Staat unterworfen und dem Faschismus gedient hatten, hörten jetzt auf «die Unangepassten».
Die Mennoniten prägten so die ökumenische Friedensbewegung nach 1945. Sie brachten Essen und Bildung ins zerstörte Deutschland. Vom basellandschaftlichen Bienenberg aus halfen nordamerikanische «Pax Boys» beim Wiederaufbau und bei der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen.
An Auffahrt Ende Mai 2025 kommen zum 500. Jahrestag des Täufertums hunderte Täuferinnen und Täufer aus dem Ausland an die Limmat. Sie wollen gemeinsam gedenken und vorwärtsschauen, wie sie ihr Friedenszeugnis in die Zukunft bringen – ihr Motto: «Mut zur Liebe».
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