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Adieu Dänemark Arktis im Aufbruch: Grönlands Heldinnen treten ins Rampenlicht

Die Geschicke der grössten Insel der Welt lagen lange in den Händen dänischer Männer. Jetzt haben sich grönländische Frauen dieser Aufgabe in Kultur, Politik und Tourismus angenommen. Das zeigt Wirkung.

Die Sonne scheint auf den alten Hafen von Nuuk, der Hauptstadt Grönlands. Am Quai vor dem lokalen Museum steht ein verhüllter Stein. Hunderte von Menschen haben sich versammelt: Sie lauschen den Ausführungen von Bürgermeisterin Avaaraq Olsen und dem Trommelgesang von Hivshu Ua, einem Nachfahren des legendären amerikanischen Polarforschers Robert Peary.

Menschenmenge bei Zeremonie am Wasser mit grönländischer Flagge.
Legende: Im alten Hafen von Nuuk treiben Eisberge, die grönländische Flagge weht im Wind: Viele Menschen sind zusammen kommen, um die Landestochter Arnarulunnguaq zu ehren. SRF/Bruno Kaufmann

Unter tosendem Applaus wird die Abdeckung vom Stein gezogen und eine Inschrift wird sichtbar: «Arnarulunnguaq (1896–1933), Inuit nunaanik kaajallaaqatausoq» (Das Land der Inuit). Es ist ein Denkmal für Arnarulunnguaq, eine starke Frau aus dem nordgrönländischen Qaanaaq.

Gemeinsam mit dem dänischen Polarforscher Knud Rasmussen bildete sie in den frühen 1920er-Jahren die Spitze der sogenannten fünften Thule-Expedition, in deren Verlauf ein 18'000 Kilometer weiter Weg durch die Arktis mit Hundeschlitten zurücklegt wurde.

Drei Personen in formeller Kleidung stehen draussen.
Legende: Polarforschende vor genau 100 Jahren: Knud Rasmussen (links) zusammen mit den Inuit Arnarulunnguaq (Mitte) und Meetek (rechts) nach der Rückkehr von der fünften Thule-Expedition im Jahr 1924. Library of Congress/Prints & Photographs Division

Aber so wie ein Jahrhundert lang die indigene Arnarulunnquaq in der offiziellen Geschichtsschreibung kaum eine Rolle spielte, nannte die frühere Kolonialmacht Dänemark den alten Hafen von Nuuk schlicht «Kolonihavnen».

Mit der Statue des ersten dänischen Missionars Hans Egede und dem ehemaligen Spital, wo über Jahrzehnte junge Grönländerinnen gegen ihren Willen sterilisiert wurden , im Hintergrund treffen wir die Regisseurin Mudi Berthelsen, die mit ihrem Film «The Fight for Greenland» bekannt wurde.

Frau in schwarzer Kleidung vor Küstenort mit bunten Häusern.
Legende: Sie will grönländische Geschichte aus grönländischer Sicht erzählen: Filmemacherin Mudi Berthelsen arbeitet an der ersten indigenen Fernsehserie. SRF/Bruno Kaufmann

Mudi Berthelsen hat Grosses vor: «Bislang wurde unsere Geschichte von Männern aus Kopenhagen geschrieben, jetzt ist es Zeit, dass wir unsere eigene Geschichte erzählen». Dafür arbeitet Berthelsen seit einigen Jahren mit der bekannten Schauspielerin Nivi Pedersen (« Borgen », «Thin Ice») zusammen und bereitet eine Serie zur grönländischen Geschichte vor.

Dafür reist ihr Produktionsteam in die entlegensten Dörfer entlang der über 40'000 Kilometer langen Küste der mit 2.1 Millionen Quadratkilometer grössten Insel der Welt.

«Die Begeisterung in der Bevölkerung für diese erste indigene Fernsehserie ist gross, aber das Geld für das Projekt ist knapp», räumt Mudi Berthelsen ein. Gut eine Million Franken soll die Fernsehreihe, die im Jahr 2027 ausgestrahlt werden soll, kosten.

Berthelsen ist überzeugt, dass die neue Reihe zur grönländischen Geschichte aus grönländischer Sicht auch für die junge Generation eine wichtige Lücke füllt: «In meiner Schule las ich noch in den Lehrbüchern über den kleinen Ole, der im Wald Velo fährt.» In Grönland gibt es keinen Wald. (Mit einer kleinen Ausnahme, ganz im Süden.)

Seit über 4000 Jahren ein «Land der Menschen»

Grönland wird seit über 4000 Jahren von Menschen bewohnt. Lange wanderten diese über die Meerengen im höchsten Norden von Nordamerika kommend ein. Dann erreichte im Jahre 985 n. Chr. ein norwegischer Wikinger, Erik der Rote, als erster Europäer den Südzipfel der Insel.

Grönland: Kleines Volk mit globaler Bedeutung

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Nur gerade einmal 60'000 Menschen leben auf der grössten Insel der Welt. In den letzten fünfzig Jahren hat das kleine – vornehmlich aus indigenen Inuit bestehende – Volk seine Selbstverwaltungsrechte schrittweise ausgebaut: einzig die volle staatliche Unabhängigkeit fehlt noch .

Die frühere Kolonialmacht Dänemark kontrolliert weiterhin wichtige Politikbereiche wie die Justiz und die Aussen- und Sicherheitspolitik. Dazu trägt die dänische Staatskasse zu rund einem Drittel der Einnahmen des grönländischen Haushaltes bei. 

Wegen seiner strategischen Lage zwischen Nordamerika und Eurasien nimmt Grönland in der Arktis eine Schlüsselrolle ein: dazu gehören die Kontrolle über wichtige Seefahrtswege, die Förderung seltener Metalle, die Forschung zum rasanten Klimawandel und die Sicherstellung von Sicherheitsinteressen.

Während das kleine Dänemark dank der Verbindung zu Grönland an seiner historischen Rolle im hohen Norden festhalten möchte, interessieren sich Grossmächte wie die USA, China und Russland zunehmend für Grönland : In seiner ersten Amtszeit erklärte der alt-neue US-Präsident Donald Trump denn auch ohne Umschweife, Grönland «kaufen zu wollen».

Seinen Nachfahren war dann aber das Klima doch zu rau und es dauerte bis ins 18. Jahrhundert und der Ankunft des Missionars Hans Egede, bis die Insel wieder auf westlichen Landkarten erschien.

Die dänische Krone machte Grönland zur Kolonie und 1953 zur Provinz. Erst 1979 erhielt das «Land der Menschen» (grönländisch: «Kalaallit Nunaat») Autonomierechte, 2009 die volle Selbstverwaltung. Jetzt strebt das Land die staatliche Unabhängigkeit an.

Statue mit Stab blickt auf schneebedecktes Dorf und Berge.
Legende: In Bronze verewigt: Hans Egede, Gründer der grönländischen Hauptstadt Nuuk. Die Tage, als die Geschichte des Landes von Männern aus Europa geschrieben wurde, könnten gezählt sein. Getty Images/Arctic-Images

Zu den wichtigen politischen Vorkämpferinnen dieser neuen Etappe in der modernen Geschichte Grönlands gehört Sara Olsvig: Schon als junge Mutter begann sich die heute 46 Jahre alte Nuukerin politisch zu engagieren. Sie vertrat die Insel im Dänischen Parlament «Folketing», war Abgeordnete im «Inatsisartut», Grönlands Einkammerparlament, und Vorsitzende der heutigen Regierungspartei IA.

Person mit Brille steht vor einem Wanddekor in Sprechblasenform.
Legende: Sie setzt auf globale Zusammenarbeit in Arktis-Fragen: Sara Olsvig in der Interessensvereinigung «Inuit Circumpolar Council». SRF/Bruno Kaufmann

Seit 2022 leitet sie das Kooperationsorgan aller Inuitvölker rund um den Nordpol, das «Inuit Circumpolar Council» (ICC): «Wir vertreten die Inuit in wichtigen internationalen Organisationen wie der UNO, der Internationalen See­schiff­fahrts­organisation, dem Weltklimarat und dem Arktischen Rat.»

«Was in der Arktis passiert, geht die ganze Welt an»

«Wir haben in dieser unwirtlichen Umgebung seit über 4000 Jahren überlebt und uns behauptet», sagt Sara Olsvig und ist überzeugt, dass es die Menschen in Grönland und andere Inuit-Völker auch künftig schaffen werden: «Dafür müssen wir aber global kooperieren, denn was in der Arktis passiert, geht die ganze Welt an.»

Neben der formell-institutionellen Arbeit im politischen Kontext wollen sich die Inuit aber auch in der internationalen Öffentlichkeit eine Stimme erkämpfen: Hier setzt eine andere Grönländerin an.

«Das Leben ist wunderbar»

Qupanuk Olsen ist Social-Media-Star: Mit ihren Posts erreicht sie auf Youtube, Instagram und anderen Plattformen ein Millionenpublikum: «Ich betreibe Aufklärungsarbeit im eigentlichen Sinn», erzählt die dreifache Mutter beim Treffen in Qinngorput, dem neusten Stadtteil der boomenden grönländischen Hauptstadt.

Olsen ist ehemalige Soldatin des Arktischen Kommandos – der grönländischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte – und erste Bergwerkingenieurin des Landes. In einminütigen Videos geht sie auf die Sprache, Kultur und Eigenheiten Grönlands ein.

Wir müssen uns aus der dänischen Zwangsjacke befreien.
Autor: Qupanuk Olsen Content-Creatorin

Dabei setzt Qupanuk Olsen konsequent auf positive Nachrichten und schliesst ihre Beiträge stets mit dem Satz ab: «Life is amazing, Tulliani takuss’» («Das Leben ist wunderbar, bis bald»).

Im Gespräch ausserhalb des neuen internationalen Flughafens von Nuuk, der Ende November in Betrieb geht, zeigt sie sich jedoch sehr kritisch zu der aus ihrer Sicht viel zu vorsichtigen Gangart der grönländischen Politik: «Wir müssen uns endlich aus der dänischen Zwangsjacke befreien und auf eigenen Beinen stehen.»

Trotz weitgehender Selbstverwaltung wird etwa die grönländische Migrationspolitik weiterhin in Kopenhagen gemacht, tragen die Einkünfte aus der lukrativen Fischwirtschaft der Insel zur dänischen Staatskasse bei und wird die Miete der amerikanischen Streitkräfte für die Nutzung der «Thule Air Base» (die seit 2023 «Pituffik Space Base» heisst) nach Dänemark überwiesen.

Frau sitzt auf Felsen vor rotem Gebäude, Landschaft im Hintergrund.
Legende: «Meine bislang grösste Herausforderung»: Tine Pars ist Kommunaldirektorin von Kujalleq und ringt mit fehlenden Finanzmitteln und dem Mangel an jungen Menschen. SRF/Bruno Kaufmann

Die Spätfolgen des Kolonialismus sind im ganzen Land zu spüren: «Wir verfügen zwar über enorme Möglichkeiten in vielen wirtschaftlichen Bereichen, aber gleichzeitig sind uns finanziell und politisch immer noch die Hände gebunden», stellt Tine Pars, die Direktorin Grönlands mit gut 50'000 Quadratkilometer Fläche kleinster Gemeinde, Kujalleq, fest. Wir treffen sie im malerischen Hafenstädtchen Qaqortoq, wo die Häuser bunt sind und das blaue Meer mit schwimmenden Eisbergen gespickt ist.

Die 58 Jahre alte frühere Rektorin der Nuuker Universität sieht den Job als Gemeindechefin als «ihre bislang grösste Herausforderung». Der Grund: In der grönländischen Provinz fehlt es an vielen Orten nicht nur an finanziellen Mitteln für den Ausbau der Infrastruktur in Bereichen wie Fischwirtschaft, Tourismus und Bergbau, sondern auch an genügend jungen Menschen, die sich für leitende Funktionen in diesen Branchen ausbilden lassen.

Vor allem unter den Grönländerinnen findet jedoch ein Umdenken statt: «Ich möchte nicht einfach nur einen Job haben, von dem ich leben kann, sondern in meiner Rolle auch zur Entwicklung des Landes beitragen», sagt Eleonora Hoffmeyer. Die 30-jährige Handelsstudentin studiert in Qaqortoq «nachhaltigen Tourismus» und hofft, dereinst ein Hotel vor Ort eröffnen zu können.

Frau in schwarzer Jacke lächelt in modernem Raum.
Legende: Wie können die fragile Natur Grönlands und der Ausbau des Tourismus vereint werden? Die Grönländerin Eleonora Hoffmeyer beschäftigt sich mit Fragen des nachhaltigen Tourismus. SRF/Bruno Kaufmann

Derzeit gibt es in Qaqortoq nur ein Hotel – mit einem dänischen Management. Im Hafen von Qaqortoq legen zwar regelmässig Kreuzfahrtschiffe an: «Dann kommen innerhalb von wenigen Stunden mehrere Tausend Besucher an Land», sagt Hoffmeyer, die sich ursprünglich zur Detailhändlerin ausgebildet hat, nun aber einen Schritt weiter gehen möchte. Wie einst die Polarfahrerin Arnarulunnguaq könnte die junge Grönländerin in Sachen Tourismus zu einer Türöffnerin für ein selbstbewussteres und eigenständigeres Grönland werden.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 26.11.2024, 9:03 Uhr; kobt

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