Es begann wie ein Traum, damals vor zwei Jahren. Hala Elkoussy arbeitet an einem Film, «Cactus Flower» soll er heissen. Er nimmt vorweg, was im Januar 2011 draussen auf den Strassen geschehen wird - die Revolution. In einem Studio arbeitet sie am Drehbuch, entwickelt Ideen, improvisiert mit ihren Schauspielern Szenen und Dialoge vor dem Hintergrund einer Stadt im Ausnahmezustand mit Demonstrationen auf dem Tahrirplatz und Zehntausenden von Polizisten.
Und genau in dieser Zeit, im Januar 2011 wird die Fiktion Wirklichkeit. Hala und ihre Schauspieler brechen die Arbeit ab und mischen sich unter die Aufständischen auf Kairos Strassen.
Video für einen liberalen TV-Sender
Zwei Jahre danach treffen wir uns in ihrer Wohnung in Amsterdam. Hala ist sehr beschäftigt. Sie schneidet ein neues Video, das bald auf ON-TV gezeigt werden soll, einem liberalen Sender, der von Anfang an die Revolution unterstützte.
Es ist die zweite Zusammenarbeit mit dem Dichter Mostafa Ibrahim und dem Musiker Mohamed Antar – ein blinder Scheich singt von einem anderen Ägypten, in dem nicht wie im Moment ein polarisierender Krieg der Ideen stattfindet, wie Hala erläutert, sondern eine poetische Form von Freiheit gelebt wird. Während sie mir das erklärt, kommuniziert sie über Skype mit ihren Mitarbeitern in Kairo, die parallel auch am Video arbeiten.
Ein filmisches Denkmal für die Revolution
Ihr erstes Video «Fulan El Fulani» war den Märtyrern der Revolution gewidmet. Während des Songs zeichneten ägyptische KünstlerInnen Portraits deren, die im Kampf für Freiheit ihr Leben gelassen hatten. Hala Elkoussy wollte so ein lebendiges Archiv erstellen, ein filmisches Denkmal der Erinnerung.
Dass sie Videos dreht, die von privaten TV-Sendern gezeigt werden, ist eine Reaktion auf die Ereignisse in ihrem Land. Sie will nicht mehr nur ein elitäres Kunstpublikum erreichen, sie sucht das grosse Publikum.
Das letzte Jahr hat Spuren hinterlassen. Als wir, Ahmed Abdel Mohsen und ich, sie für unseren Dokfilm «Laila, Hala und Karima – Ein Jahr im revolutionären Kairo» fragten, was denn bleiben würde vom ersten Jahr der Revolution, meinte sie lakonisch: «Wir haben ein Stück Unschuld verloren» – und dann nach einer Pause – «Augen wurden verloren, und Leben». Dann schwieg sie.
Die Enttäuschung ist gross
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Da war schon ein Stück Enttäuschung zu spüren, oder eine Vorahnung von dem, was kommen würde. Die Ideen der Revolution wurden zurückgedrängt, die Islamisten nutzten die Gunst der Stunde und gewannen Stück für Stück an Einfluss und Macht. Gut organisiert, taktisch klug, schliesst Präsident Mohammed Mursi einen Pakt mit den Militärs, lässt ihre Macht und Privilegien unangetastet und boxt dafür seine Verfassung durch.
Hala Elkoussy, voller Enttäuschung: «Es fällt mir nicht leicht zu sagen, aber wie viele Tausende oder Millionen fühle ich mich betrogen und ausgenutzt.» Rein äusserlich hätten sie viel erreicht. Mubarak weg, Wahlen hat es gegeben, eine neue Verfassung. Aber die Inhalte, sie wären faulig und verdorben.
Sechs Monate lang konnte sie nicht arbeiten, antwortete auf keine Emails, obwohl sie überflutet wurde mit Anfragen für Ausstellungen im Ausland. Denn nach der Revolution war ägyptische Kunst gefragt auf dem Kunstparkett.
Keine Gedanken an die Karriere
Doch Ruhm und Karriere – sie konnte nicht einmal daran denken. Stattdessen begann sie ein Buch zu schreiben: «The Circle of H.M. Kamel» mit Notizen und Fotografien aus der Zeit des Gelähmtseins. Auch mit diesem Buch hofft sie ein grösseres Publikum zu erreichen.
Was wir brauchen, ist eine neue Definition der Ziele der Revolution, sagt sie. Was bedeutet Freiheit für uns? Und – wir brauchen eine Revolte gegen die religiösen Institutionen, die den Leuten weismachen, dass Ungerechtigkeit dem Willen Gottes entspricht, der uns dafür später mal in den Himmel lässt.
Hala weiss, dass sie damit provoziert. Im Krieg der Ideen nennt sie den Gegner beim Namen und fordert eine radikale Trennung zwischen Staat und Religion. Die Islamisten, die nur sich und ihre Machtinteressen sehen, wollen keine liberale Gesellschaft. Das ist die Wirklichkeit, zwei Jahre nach der Revolution.