«Denk ich an Davos, dann denk ich an meine Kindheit», sagt Jonathan Kreutner vom jüdischen Dachverband der Schweiz SIG. Die Ferienwohnung seines Grossvaters sei ein zweites Zuhause gewesen. Heute kommt er mit seinen Kindern her.
Doch in die Erinnerung an unbeschwerte Ferien mischt sich Bitterkeit: Es geht um gehässige Schlagzeilen und Posts über «die» jüdischen Gäste.
Gäste zweiter Klasse
Rund 4'000 jüdisch-orthodoxe Touristen suchten diesen Sommer Erholung in Davos. Doch zuletzt gab es Konflikte und Schlagzeilen wie: «Juden unerwünscht». Ihnen wird pauschalisierend Littering, Unfreundlichkeit und zu kinderreiches Auftreten in Gruppen vorgeworfen. Da streng koscher lebende Gäste nicht in unkoscheren Restaurants und Hotels logieren, verdienen viele auch nichts an Orthodoxen.
Im Sommer kündigte Davos Tourismus zudem die Zusammenarbeit mit dem SIG-Projekt «Likrat Public». Dieses will zwischen jüdisch-orthodoxen Gästen aus dem Ausland und einheimischen Hoteliers kulturell vermitteln.
Es gehe darum, erklärt Kreutner, gegenseitigen Respekt für die Bedürfnisse und Gewohnheiten der jeweils anderen Seite zu schaffen. Auch andere Tourismusorte nehmen das Angebot in Anspruch.
Landammann beschämt
Dem Davoser Philipp Wilhelm ist die Sache sichtlich unangenehm. Der Landammann steht für ein weltoffenes Davos, setzt sich für Kultur und Soziales am Luxus-Kurort ein. Es sei eine professionelle Mediation im Gang, um die Konflikte aufzuarbeiten und in Zukunft zu vermeiden.
Doch Jonathan Kreutner ist enttäuscht: «Will Davos Tourismus überhaupt jüdisch-orthodoxe Gäste?»
Für Landammann Wilhelm ist klar: Antisemitismus darf in Davos keinen Platz haben. Er wirkt beschämt über die Aussagen mancher Davoser, «Juden» seien «schmutzig».
Der Bündner Politiker unterstützt daher ein Geschichtsprojekt: Über die Nazihochburg Davos ist schon einiges erforscht. Nun solle eine Dokumentationsbibliothek auch die jüdische Geschichte von Davos erzählen.
Ambivalente Stadtgeschichte
Bereits um 1900 fanden Jüdinnen und Juden in Davos Erholung von Tuberkulose und Antisemitismus, während sie zu der Zeit vielerorts diskriminiert wurden. Der österreichische Alpenverein etwa nahm seit 1899 keine Juden auf. Und Nordsee-Inseln wie Borkum warben auf antisemitischen Ansichtskarten damit, «judenfrei» zu sein.
So sammelten die jüdischen Gemeinden in der Schweiz Geld, um 1919 in Davos ein koscheres Hotel zu eröffnen: Die «Jüdische Heilstätte Etania» bot auch mittellosen Kranken koschere Kuraufenthalte. Synagoge, Mikwe und koscheres Restaurant dienten den jüdischen Gästen von Davos bis in die 1990er-Jahre.
Historischer Vorbelastung zum Trotz
In der NS-Zeit schliesslich wurde Davos zum Hotspot der Nationalsozialisten. 1936 ereignete sich hier ein spektakulärer politischer Mord: Der Rabbinersohn David Frankfurter ermordete den NSDAP-Gauleiter Wilhelm Gustloff.
Der jüdische Davos-Tourismus war also nie unbelastet von Antisemitismus. Das offenbarte auch eine Studie von 1985 über Antisemitismus in Davos.
Gleichzeitig bleibt die Liebe für Davos und die Bergwelt. «Das ist auch mein Davos», sagt Jonathan Kreutner. Mit Blick auf die geschmähten jüdisch-orthodoxen Gäste aus den USA, Israel oder Belgien sagt er: «Sie werden wiederkommen. Sie fühlen sich wohl in Davos.» Trotz allem.