«Kommt eine Frau zum Arzt ...» – so beginnt ein ganzes Genre von Witzen über das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. «Das ist eine ganz besondere Beziehung», sagt Tanja Krones, Professorin für Medizinethik am Universitätsspital Zürich. «Es besteht ein Nähe-Distanz-Verhältnis wie sonst fast nirgends.»
Die Beziehung ist asymmetrisch: Auf der einen Seite sind Patienten meist geschwächt, verunsichert, haben Angst oder kämpfen mit Schamgefühlen. Ärztinnen und Ärzte hingegen begegnen den Patienten in der Praxis oder im Spital aus einer professionellen Rolle heraus – im besten Fall fürsorglich, im schlimmsten Fall zynisch. Sehr unterschiedliche Voraussetzungen für ein gutes Gespräch.
Die Ungleichheit in dieser Beziehung ist anfällig für Fehler in der Kommunikation, was den weiteren Krankheitsverlauf von Patienten beeinflussen kann. Wie kommt es zu diesen kommunikativen Fehlern? Und wie lassen sie sich vermeiden?
Wie im falschen Film
Beispiele für misslungene Arzt-Patienten-Kommunikation sind zahlreich. Im «Input» -Podcast von SRF sprechen zwei Frauen über schwierige Momente im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten.
Dem Leben in der Schweiz auf der Spur – mit all seinen Widersprüchen und Fragen. Der Podcast «Input» liefert jede Woche eine Reportage zu den Themen, die Euch bewegen. Am Mittwoch um 15 Uhr als Podcast, sonntags ab 20 Uhr auf Radio SRF 3.
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Kathrin, anfangs dreissig, ist frisch schwanger. Endlich. Sie freut sich auf das Kind und geht für eine gynäkologische Kontrolle ins Spital. Der Oberarzt untersucht sie und stellt fest: Die Herztöne sind weg. Das Ungeborene in Kathrins Bauch lebt nicht mehr.
Der Arzt meinte nur, da seien keine Herztöne mehr.
Ein Schock: Für Kathrin ist das eine lebensverändernde Nachricht. Der Arzt hingegen gibt ihr kurz und knapp Anweisungen: «Er schaute mir gefühlt kein einziges Mal in die Augen. Der Arzt meinte nur, da seien keine Herztöne mehr. Ich solle mich wieder anziehen, damit wir die Auskratzung besprechen können.»
Kathrin zieht sich an, setzt sich, unter Tränen, an den Tisch. «Statt mich kurz zu fragen, ob ich noch einen Moment brauche, zückte der Arzt ein Papier: Darauf skizzierte er meine Gebärmutter und den Ablauf der Auskratzung.»
Diese Begegnung ist nun über zehn Jahre her. In der Zwischenzeit hat Kathrin zwei gesunde Kinder zur Welt gebracht. Das Erlebnis bei diesem Gynäkologen im Krankenhaus hat sich aber in ihr Gedächtnis eingebrannt: «Der Arzt ist überhaupt nicht auf mich eingegangen. Mir ist bewusst, dass das für ihn in seinem Berufsalltag nichts Aussergewöhnliches war. Aber dass er es gar nicht geschafft hat, diesen Moment auf eine menschliche Ebene zu bringen, war für mich richtig krass.»
«Vielleicht ist es ein Herzinfarkt»
Laura ist Mitte dreissig, als sie sich plötzlich krank fühlt. Mit Herzrasen, pochenden Kopfschmerzen und Schwindelgefühl meldet sie sich bei einem Ärztenetz online und bekommt einen Termin. Von der Hausärztin fühlt sich Laura nicht richtig wahrgenommen. «Sie hat mich kaum angesehen, nur einige Fragen gestellt und parallel etwas in ihren Computer getippt.»
Am Nachmittag fühlt sich Laura schlechter, die Schmerzen in der Brust nehmen zu. Die zweifache Mutter ruft nochmals in der Arztpraxis an: «Sie wolle mir keine Angst machen, aber es könnte ein Herzinfarkt sein, meinte die Frau am Telefon. Ich solle morgen früh um acht für ein EKG in der Praxis erscheinen. Ich dachte, ich sei im falschen Film.»
Laura wird panisch. Die Schmerzen nehmen zu. Sie meldet sich selber im Notfall in einem Spital an. Ein EKG ergibt: Es ist kein Herzinfarkt. Wochen später erst erfährt sie, dass eine Lungenentzündung die Schmerzen in ihrer Brust verursacht hatte.
Kommunikation im Spital: eine Gratwanderung
Gerade im Notfall wird es regelmässig hektisch – oder eben auch missverständlich, wie im Fall von Laura. «Ich bin sicher, dass auch ich schon solche Dinge gesagt habe», sagt Assistenzärztin M., die in einem Deutschschweizer Krankenhaus angestellt ist. «Der Kontakt zu Patienten bringt alles zusammen, was ich an meinem Job mag: die unterschiedlichen, spannenden Fälle. Das Kombinieren von Fakten mit den Schilderungen der Menschen. Und die Mischung aus lustigen Gesprächen, existenziellen Momenten und sinnstiftender Arbeit.» Doch auch in ihrem Alltag unter dem hohen Zeitdruck kommt die bewusste Kommunikation manchmal zu kurz.
Die Kommunikation im Krankenhaus gleicht einer Gratwanderung: M. hat einerseits den Anspruch, transparent mit Patienten und Patientinnen zu kommunizieren: «Wenn jemand über starke Kopfschmerzen klagt, überlege ich in alle Richtungen: Es könnte eine Migräne sein. Je nachdem muss ich aber auch einen Hirntumor in Betracht ziehen.»
Dann sei es eine Frage der Sensitivität, wie offen sie all ihre Erwägungen mitteilt: «Bei grossen medizinischen Schlagworten verliere ich die Patienten im Gespräch. Dann hören sie nur noch das.» Sie versuche in solchen Fällen eher zu umschreiben, was sie für wahrscheinlich hält, und warum sie aber weitere Untersuchungen anordnen möchte. «So habe ich auch den schlimmsten Fall im Blick, verunsichere den Patienten aber nicht unnötig.»
Medizinpersonal und die Belastungsgrenze
Manchmal sei die umschreibende Kommunikation im Klinikalltag aber schlicht nicht möglich. Etwa im Notfall, wo sie die Patienten nach wenigen Sekunden unterbrechen müsse, um schnellstmöglich weitere Massnahmen einzuleiten. Oder an Tagen, an denen M. selber an die Grenzen der Belastbarkeit stösst: «Ich erinnere mich noch bestens an meine erste Reanimation.» Die fand zu Beginn ihrer Schicht im Spital statt, um neun Uhr.
Plötzlich verschlechtert sich der Zustand des Patienten drastisch, der Chefarzt ordnet eine Reanimation an. «Dann habe ich angefangen, der Patient wurde wiederbelebt. Eine Reanimation geht an niemandem spurlos vorbei. Das Adrenalin, das da kommt … Danach kommt immer das Tief. Ich sass nur noch in diesem Spitalzimmer und hätte weinen können. Aber in dem Moment weisst du: Du musst noch den ganzen Tag weitermachen.»
Im Studium: Macht, Fürsorge oder Zynismus
«Kommunikation und Beziehung sind für den Verlauf einer Krankheit oder Genesung essenziell», sagt die Professorin für Medizinethik Tanja Krones.
«Ein gutes Aufklärungsgespräch kann darüber entscheiden, ob ein Patient seine Medikamente regelmässig nimmt. Oder darüber, dass man mit der Ärztin auch offen über Tabuthemen spricht. Zum Beispiel Inkontinenz als Nebenwirkung eines Blutdruckmedikaments. Schlechte Kommunikation kann im Einzelfall dazu führen, dass Schmerzen oder Nebenwirkungen stärker wahrgenommen werden. Dann sprechen wir vom sogenannten Nocebo-Effekt – das Gegenteil des Placebo-Effekts .»
Wie kommt es zu so gravierenden Fällen von misslungener Kommunikation – wie im Beispiel von Patientin Kathrin, die beim Abbruch ihrer Frühschwangerschaft tränenüberströmt vom Arzt übergangen wird? Die Gründe dafür sind sehr vielfältig: Zur Kommunikationskultur in Krankenhäusern kommen Zeit- und Gelddruck.
Einen ersten Kipppunkt erkennt Medizinethikerin Krones bereits im Medizinstudium. Bei der ersten Patientin im Anatomieunterricht, bei der Leiche, lernen Studierende, dass sie im Beruf Grenzen überschreiten dürfen – aus Forschungszwecken oder aus therapeutischen Gründen: «Das gibt angehenden Ärzten eine neue Macht, mit der sie umzugehen lernen müssen – im besten Fall verantwortungsvoll und fürsorglich. Im schlechtesten Fall grenzen sie sich schon da vom Patienten ab und werden zynisch.»
Kommunikation und Beziehung sind für den Verlauf einer Krankheit oder Genesung essenziell.
Der Umgang mit Patienten und Patientinnen wird heute im Medizinstudium zwar anders behandelt als noch vor dreissig Jahren, so Krones. «Auch in der Weiterbildung arbeiten wir stark an der Kommunikationskompetenz von Ärztinnen. Und an der Sensitivität, eine schlechte Nachricht für Patienten auch als solche zu erkennen – das ist sehr individuell.»
In dem Feld gebe es nach wie vor grossen Handlungsbedarf. «Ärzte müssen zudem ihren eigenen Emotionshaushalt im Blick haben und auf eine gesunde Distanz zu ihren Patienten achten.» Die Medizinethikerin fordert einen Paradigmenwechsel in der Medizin: «Das Arztgespräch müsste gegenüber technischen Untersuchungen exzellent vergütet werden.» Aber: «Alle, die behaupten, es gebe eine einfache Lösung, irren sich. Dafür gibt es in der Medizin viel zu viele Interessen.»