Die Schweizer Landschaft ist geprägt vom Beton: Für Wohnsiedlungen, Brücken, Tunnels ist der Baustoff hierzulande unentbehrlich. Wie prägend Beton ist, zeigt eine Ausstellung im Schweizer Architekturmuseum.
Beim Betreten der Ausstellungsräume wähnt man sich auf einer Baustelle: Stahlträger und Holzverschalungen prägen den Eingang. Auf einer echten Baustelle wäre nun alles bereit für den flüssigen Beton.
Die Irritation ist beabsichtigt, erläutert Kurator Yuma Shinohara: «Die Szenografie zielt darauf ab, die Besucherinnen an den eigentlichen Einsatzort des Betons zu transportieren.»
Betonkönigreich Schweiz
Rasch macht die Ausstellung klar, wie unentbehrlich der Baustoff für die Schweiz ist und war. «Die Schweiz hat einen Ruf als Meisterbauerin des Betons», so Shinohara. Der Baustoff prägte das Land wie kaum ein anderes in Europa.
Erst dank des Betons konnte das zerklüftete Alpenland erschlossen werden. Davon zeugen zahlreichen Tunnels und Brücken, hohe Staumauern und Lawinengalerien.
Schon im frühen 19. Jahrhundert galt Beton als der Baustoff schlechthin. Er war günstig und liess sich beliebig einsetzen. Schön fand ihn ausser Architekten und Bauherren damals jedoch kaum jemand. Deshalb wurde auch schon mal geschummelt. So priesen Ingenieure Beton als ein natürlicher Baustoff oder liessen auch mal Bauelemente giessen, die wie Natursteine wirkten. Am Hauptgebäude der Zürcher ETH ist das heute noch zu sehen.
Hoffnungsträger Beton
Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts verbesserte sich der Ruf des Baumaterials. Vor allem in den 1960ern- und 1970er-Jahren sei das Potential des Betons erkannt worden. «Damals wurden viele utopische und fantasievolle Projekte entwickelt», erklärt der Kurator.
Eines davon ist der in der Ausstellung zu sehen: Ein buntes Modell des Schweizer Künstlers Walter Jonas, das ein riesiges trichterförmiges Gebäude zeigt. Die Idee dahinter war, möglichst wenig Land zu verbauen und trotzdem viel Wohnraum zu bieten. Durch die Form sollte jede Wohnung viel Sonnenlicht erhalten. Realisiert wurde das Projekt nie.
In den Ausstellungsräumen hängen viele minuziös von Hand gezeichnete Pläne für futuristische Bauten, Brücken oder Autobahnauffahrten. Sie enthalten meist viele Messdaten. Denn am Beton wurde ständig getüftelt, das Material laufend verbessert.
Stürzte etwa eine Brücke oder ein Haus ein, eilten Ingenieure an die Unglücksstelle, um sie zu fotografieren, auszumessen, und der Ursache auf den Grund zu kommen. Davon zeugt eine Aufnahme des eingestürzten Basler Hotels Bären.
Um solche Unfälle zu verhindern, wurden Bauten umfassend getestet. Manchmal griff man dafür zu eher ausgefallenen Methoden. Mehrere Aufnahmen zeigen, wie Bauarbeiter eine Auffahrtsrampe hochlaufen, um das Gewicht von Autos zu simulieren.
Neben der Faszination für den Baustoff vermittelt die Ausstellung auch dessen Schattenseiten. Denn für die Herstellung von Beton wird viel Energie verbraucht, der CO₂-Ausstoss ist enorm.
Dennoch kommt der kritische Ansatz insgesamt etwas zu kurz. Das rührt daher, dass die Ausstellung aus Archivmaterial zusammengestellt ist. Erstmals haben dafür die drei grössten Architekturarchive der Schweiz ihr Material zur Verfügung gestellt, nämlich die Hochschulen für Architektur an der ETH Zürich, in Lausanne und im Tessiner Mendrisio.