Knapp 100 Quadratmeter: So gross ist eine Schweizer Wohnung im Schnitt. Hinzu kommen oft noch Keller, Estrich, Garten oder Balkon. Jede Person wohnt laut Bundesamt für Statistik auf stattlichen 46 Quadratmetern. 1980 waren es noch 36.
Zusätzlich nimmt die Zersiedelung stetig zu. Und auch Single-Haushalte, die mit 36 Prozent mittlerweile die häufigste Wohnform der Schweiz darstellen, brauchen Platz. Doch nicht nur das: Ein Viertel aller in diesem Land ausgestossenen Treibhausgase verursacht das Wohnen.
Kleine Häuser weltweit im Trend
Für immer mehr Menschen ist das ein Leben auf zu grossem Fuss. Sie wollen reduzierter wohnen. Ein Beleg dafür ist die Bewegung «Kleinwohnformen», besser bekannt als Tiny-House-Bewegung, die seit einigen Jahren einen Boom erfährt.
Das bestätigt auch Miriam Kost, Geschäftsleiterin vom 2018 gegründeten Verein «Kleinwohnformen»: «Durch Corona haben wir tatsächlich nochmals enormen Zulauf erhalten.» Ihr Verein zählt mittlerweile 1800 Mitglieder.
«Für die meisten bleiben Kleinwohnformen aber vorerst ein unerfüllter Traum», so Kost. Grund dafür ist die fehlende Gesetzesgrundlage. Gegenwärtig behandelt das Baurecht die winzigen Häuschen gleich wie Einfamilienhäuser. Darum gibt es auch keine offiziellen Zahlen.
Viele stehen auf Industriegeländen oder privaten Wiesen – sprich im Graubereich – und sind eher geduldet als bewilligt.
Der Verein «Kleinwohnformen» setzt sich deshalb dafür ein, dass diese Wohnform als eine eigene anerkannt wird oder wenigstens Spielräume in der vorhandenen Bauverordnung genutzt werden. Für Kost sind Regeln notwendig: «Die brauchen wir, damit auch das Abwasser korrekt entsorgt wird und die Häuser ausreichend isoliert werden.» Sonst sei die von der Bewegung oft als nachhaltig angepriesene Lebensweise nämlich alles andere als ökologisch.
Wo schneiden Tiny Houses besser ab?
Aber inwiefern ist das Leben im Kleinformat überhaupt nachhaltiger? Wie viel sollten wir uns für ein zukunftsgerichtetes Leben davon abschauen? Ein Vergleich zwischen kleinem und normalem Haus zeigt: Es kommt darauf an.
Nehmen wir etwa das Material. Hier gewinnt das Kleinwohnformat. In der Regel sind Tiny Houses aus Holz gebaut – die meisten anderen Gebäude aus Beton. Während Holzbauten sogar CO2-positiv sein können, ist die Herstellung von Zement, aus dem Beton angefertigt wird, weltweit für acht Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich.
Zudem benötigt man für eine kleinere Fläche weniger Baumaterial und weniger Energie zum Heizen. Das ist insofern relevant, da in der Schweiz noch immer zu zwei Drittel mit Öl oder Gas geheizt wird. Allerdings sind hier kleine Häuschen nur im Vorteil, wenn sie ausreichend isoliert sind – und das ist aus Platzmangel nicht immer der Fall.
Was den Wasserverbrauch betrifft, können die Kleinen ein Vorbild für die Grossen sein. Bei 40 Quadratmetern bleibt selten Platz für eine Badewanne. Doch spannend wird es bei der Toilette: Da viele Tiny Häuser nicht an die Kanalisation angeschlossen sind, besitzen sie eine Trockentoilette und sparen damit 41 Liter Frischwasser. So viel verbraucht ein durchschnittlicher Haushalt beim Toilettenspülen.
Kleine Vorbilder für die grosse Masse
Wie das «perfekte» Haus in Sachen Nachhaltigkeit aussehen könnte, zeigt Devi Bühlers KREIS-Haus. Die Umweltingenieurin forscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW und hat ein 40 Quadratmeter-Haus aus recycelten und nachhaltigen Materialien nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft gebaut.
Der Dachgarten wird etwa mit wiederaufbereitetem Abwasser aus Küche und Bad bewässert. Die Nährstoffe aus der kompostierten Toilette düngen das Gemüse.
Muss man fürs Klima also die eigenen Fäkalien kompostieren? «Auf keinen Fall», mein Bühler. Eine Möglichkeit sei ein automatisierter Kompost, in dem Würmer und die Technik diesen Job erledigen. Sie und ihr Team tüfteln an Lösungen wie diesen, um nachhaltiges Wohnen zu vereinfachen.
Das KREIS-Haus ist ein Labor. Was funktioniert, will Devi Bühler auf grössere Wohneinheiten, wie Mehrfamilienhäuser übertragen. Reduziertes Wohnen soll massentauglich und komfortabel werden. «Ich will nicht, dass alle Leute in kleine Häuser ziehen», so die Forscherin. Das würde die Zersiedelung nur weiter vorantreiben.
Dieser Meinung ist auch Kost: «Entgegen der Meinung vieler, setzen wir uns für die Verdichtung ein.» Kleine Häuser sollen zukünftig nicht in der verlassenen Natur, sondern auf bestehenden Flächen wie Industriezonen, in Gärten von Einfamilienhäusern oder als Zwischennutzung gebaut werden dürfen. Wann das so weit sein wird? Noch unklar.
Zwar wird bereits mit Holz gebaut und Strom mit Solarzellen produziert – doch die Norm sind derart konsequent klimafreundliche Bauweisen noch nicht. Das Leben im Kleinformat zeigt also auf, wo zukünftig noch mehr Potenzial für nachhaltiges Wohnen besteht.