Man muss eine wichtige Aufgabe erledigen, doch man schiebt sie ständig vor sich her. Prokrastinieren lautet der Fachbegriff dafür. Und ich gebe zu: Bevor ich diesen Artikel schrieb, habe ich ihn eine gute Weile vor mir hergeschoben.
Stattdessen habe ich ein paar E-Mails beantwortet, an einem anderen Thema recherchiert und mich mit der Kollegin über die vergangene Sitzung unterhalten. Ich habe «prokrastiniert». Ganz anders wäre es gewesen, wenn ich sofort, bei Entgegennahme des Auftrags, mit dem Schreiben begonnen hätte. Dann hätte ich präkrastiniert.
Buchstäblicher Tatendrang
Sie ahnen es: Präkrastinieren ist das Gegenteil von Prokrastinieren. Also nicht ewig etwas vor sich herschieben, sondern etwas sofort erledigen. Der Ursprung dieses Krastinierens liegt im Lateinischen. Das Wort «cras» bedeutet «morgen». Präkrastinieren heisst also etwas vor morgen machen.
Nun könnte man meinen, das sei eine gute Eigenschaft: Die Rechnungen sofort bezahlen, direkt auf eine Whatsapp-Nachricht antworten, den vollen Müllsack hinaustragen und so weiter.
Eine Eigenschaft mit Schattenseiten
In gesundem Mass mag das auch gut und löblich sein, doch wenn das Präkrastinieren zwanghaft wird, können Probleme auftreten. So hat die Forschung in der Arbeitspsychologie gezeigt, dass übermässiges Präkrastinieren zu mehr Stress, oberflächlichem Arbeiten und höherer Fehleranfälligkeit führen kann.
Im schlimmsten Fall kann Präkrastinieren sogar zu einem Burn-Out führen, da man sich immer mehr Dinge aufhalst und nie zur Ruhe kommt.
Eat the Frog!
Der österreichische Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik hat einst gesagt: «Man kann nicht nicht kommunizieren». Genauso ist es mit dem Erledigen von Aufgaben: Man kann nicht nicht krastinieren. Entweder man prokrastiniert oder man präkrastiniert.
Wenn man es genau nimmt, macht man immer beides zusammen. Denn während ich eine Aufgabe sofort erledige, schiebe ich gleichzeitig eine andere vor mir her.
Echte Präkrastination zeichnet sich dadurch aus, dass die schwierigen Aufgaben sofort angepackt werden. Wer die einfachen Aufgaben sofort erledigt, ist noch lange kein Präkrastinierer, denn er oder sie schiebt die schwierigen Aufgaben vor sich her.
Die goldene Mitte finden
Interessant ist – auch das hat die Arbeitspsychologie gezeigt: ängstliche Menschen neigen eher dazu, schwierige Dinge sofort zu erledigen. Gelassene Menschen halten es eher aus, wichtige Dinge unerledigt zu lassen.
Wem jetzt der Kopf raucht vor lauter Krastinieren, dem sei gesagt: Ob ängstlich oder gelassen, ob schwierige oder einfache Aufgabe, die «Erledigungswut» ist genauso schädlich wie die «Aufschieberitis».
Der gute alte Mittelweg ist wohl wie immer die beste Lösung. Beim Schreiben dieses Artikels hat diese Erkenntnis jedenfalls geholfen.