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Brennpunkt Asien China vs. Taiwan: Springt der Funke ins Pulverfass?

Militärmanöver, Drohgebärden, verbale Attacken – das Klima zwischen China und Taiwan heizt sich auf. Steht eine Invasion bevor? Der Taiwan-Forscher Gunter Schubert ordnet ein – und warnt vor Panikmache.

Das Repertoire des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zur Einschüchterung von Taiwan ist breit: Er lässt seine Volksbefreiungsarmee rund um die Insel machtvolle Manöver durchführen, kapert via Küstenwache taiwanische Fischerboote oder verkündet, hartnäckige Verfechter der taiwanischen Unabhängigkeit hätten mit der Todesstrafe zu rechnen.

Der chinesische Präsidenten Xi Jinping sitzt an einem Tisch mit Mikrofonen.
Legende: Lässt die Säbel rasseln: Xi Jinping übt sich in Drohgebärden gegenüber Taiwan. Für Peking ist Taiwan seit jeher ein untrennbarer Bestandteil der chinesischen Nation. Keystone / AP Photo / Andy Wong

Der Jahrzehnte alte Taiwankonflikt gewinnt derzeit an Schärfe. Rund um den Globus wächst die Sorge über einen möglichen Krieg. Mit nicht absehbaren Folgen für die Bevölkerung vor Ort – und für die ganze Welt.

Die USA werden nicht müde zu betonen, sie würden dem Inselstaat im Ernstfall militärisch beistehen – was in einen offenen Krieg zwischen den beiden stärksten Militärmächten der Welt münden könnte.

(K)ein Krieg in Sicht?

Der deutsche Sinologe und Politikwissenschaftler Gunter Schubert, Verfasser des Sachbuchs «Kleine Geschichte Taiwans» und einer der profundesten Kenner der Region, kann mit dem Schreckensszenario des bewaffneten Konflikts wenig anfangen. Er ist Professor am Asien-Orient-Institut der Universität Tübingen und Direktor des dort angesiedelten Taiwan-Forschungszentrums «European Research Center on Contemporary Taiwan».

Militärübung: Ein Soldat mit Waffe neben einem Panzerfahrzeug, daneben roter Rauch.
Legende: Als Teil seiner Abwehrstrategie testet Taiwan mit Regelmässigkeit seine Verteidigung gegen ein mögliches Eindringen der chinesischen Armee – wie hier, 2023, im südtaiwanesischen Kaohsiung. imago images / ZUMA Wire

Für Gunter Schubert ist es «völlig spekulativ zu behaupten, Taiwan und China stünden an der Schwelle zu einer militärischen Konfrontation». Chinas derzeitige Drohgebärden, so sehr sie auch verängstigend wirken können, seien «Ausdruck einer symbolischen Politik». Niemand könne wissen, wann, oder gar ob China eine Invasion der Insel folgen lasse.

Für Xi Jinping, so Gunter Schubert, sei die Taiwanfrage «ein Legitimationskern der Herrschaft der kommunistischen Partei». Will heissen: Aus chinesischer Sicht gehört es zu den Grundmaximen des Staates, das Festland mit Taiwan zu vereinigen.

Mobilisierung nach innen

Diese kompromisslose Haltung sei für den chinesischen Staatschef ein probates Mittel, um die Menschen auf Festlandchina hinter die kommunistische Partei zu scharen. Eine militärische Besetzung wäre für China indessen mit enormen Risiken behaftet. Sie wäre, meint Schubert, für China «ein Schuss ins eigene Knie».

Ein elektronisches Bauelement schimmert regenbogenfarben. Im Hintergrund eine Frau mit Mundschutz.
Legende: High-Tech-Macht Taiwan: Die Insel ist gewichtiger Teil globaler Lieferketten. Unternehmen wie Foxconn, MediaTek und Asus sind hier beheimatet. imago images / ZUMA Wire

Denn das kommunistische Riesenreich profitiert – wie die globale Wirtschaft ganz generell – noch immer stark von der prosperierenden High-Tech-Industrie auf Taiwan.

Zudem würde sich China mit einer Invasion international politisch isolieren: «Es hätte seinen Anspruch als globaler Friedensstifter verspielt», sagt Schubert. Im Innern des Landes wiederum würde die kommunistische Partei «unter Druck geraten», weil der Eindruck entstünde, sie reisse einen Krieg vom Zaun, «anstatt drängende wirtschaftliche und soziale Probleme zu lösen».

«Das Hauptaugenmerk der chinesischen Führung liegt immer auf der Innenpolitik», ist Schubert überzeugt. Die chinesische Regierung würde deshalb «das Risiko immer genau bewerten, durch ihr aussenpolitisches Verhalten innenpolitische Krisen loszutreten».

Oder anders gesagt: Ein offener Krieg gegen Taiwan wäre für Peking eine «Hochrisikostrategie, die es tunlichst zu vermeiden sucht und nur dann wählt, wenn es sich in die Ecke gedrängt fühlt». Dies sei derzeit aber nicht der Fall.

Taiwan als Teil der chinesischen Nation?

Das kleine Taiwan einfach in Ruhe zu lassen oder gar als souveränen Staat anzuerkennen, kommt für China jedoch nicht infrage. Denn in Pekings Lesart ist Taiwan seit jeher ein untrennbarer Bestandteil der chinesischen Nation, die durch den chinesischen Parteistaat repräsentiert wird.

Eine Person auf einem Schiff beobachtet ein anderes Schiff auf weiter See durch ein Fernglas.
Legende: Kommen nicht zur Ruhe: Das taiwanesische Militär beobachtet die umfangreichen Militärübungen Chinas im Mai 2024. Getty Images / Anadolu / Kontributor

«Das Narrativ der kommunistischen Partei besagt, dass sie aus den Trümmern des Kaiserreichs eine neue chinesische Nation geschaffen hat. Und dazu gehört auch Taiwan», sagt Gunter Schubert.

Peking scheut denn auch keinen Aufwand, um seinen angeblichen territorialen Anspruch auf die der Küste vorgelagerte Insel mit Argumenten zu unterfüttern. Und es geht dazu auch historisch weite Wege. Denn in Tat und Wahrheit war die Insel nie Teil der kommunistischen Volksrepublik.

Vereint in einem Staat waren Taiwan und Festlandchina jedoch im Reich der Qing-Dynastie, die 1912 mit der Absetzung des letzten Kaisers endete und in die Republik China mündete. Zu jenem Zeitpunkt gehörte Taiwan jedoch schon fast zwei Jahrzehnte lang nicht mehr zu China.

Die Insel war bereits seit 1895, also zu Zeiten des ausgehenden Kaiserreichs, eine Kolonie des rivalisierenden Japans geworden. Das blieb sie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. 1945 schlugen die Alliierten Taiwan der Republik China zu. Diese versank damals jedoch im Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten unter Mao Zedong und den nationalistischen Kuomintang unter Chiang Kai-shek.

Das «antikommunistische Bollwerk»

Am Ende setzten sich die Kommunisten durch und Mao gründete 1949 die Volksrepublik China. Die unterlegene Kuomintang hatte sich zuvor auf die vorgelagerte Insel Taiwan zurückgezogen – und vermochte sich in dieser letzten Bastion zu halten, vor allem dank US-amerikanischer Unterstützung.

Ein Mann in Militäruniform schreitet eine Reihe von trainierten Männern ab, die nur in kurzen Hosen bekleidet sind.
Legende: Als Präsident schreitet Chiang Kai-shek eine Reihe von Mitgliedern der Militärakademie ab. Auf Taiwan errichtete er ab 1948 eine autoritäre Diktatur. imago images / ZUMA / Keystone

Nach ihrem Einzug in die Vereinten Nationen 1971 gelang es der Volksrepublik, international das «Ein-China-Prinzip» durchzusetzen. Soll heissen: Es gibt nur ein China, und die einzig legitime Regierung dieses «einen China», das auch Taiwan umfasst, sitzt in Peking.

Taiwan, der letzte Rest der einstigen Republik China, wird seither lediglich von wenigen Ländern offiziell als souveräner Staat anerkannt.

Daran ändert auch nichts, dass sich laut Gunter Schubert «in den vergangenen Jahrzehnten auf der Insel längst eine spezifische taiwanische Identität ausgeprägt» hat.

Eine abendliche Grossstadtszene: Menschen auf einem Boulevard vor hell erleuchteten Geschäften.
Legende: Es bleibt kompliziert – sowohl mit der internationalen Anerkennung als auch mit der Verwendung von «Taiwan» als offizielle Landes-Bezeichnung. imago images / Dreamstime

Sie zeige sich etwa in einer eigenständigen Literatur. Und: «Die eigene Identität beruht stark auf der Erfahrung mit einer stabilen Demokratie, die Taiwan politisch vom Festland mit seiner Parteidiktatur trennt.»

Am Rand der Völkerfamilie

Taiwan darf jedoch aufgrund seines rechtlichen Status weiterhin keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu anderen Ländern unterhalten. Es muss sich mit sogenannten Kultur- und Wirtschaftsbüros begnügen, die auch konsularische Aufgaben wahrnehmen und faktisch Botschaften darstellen, ohne dass sie als solche bezeichnet würden.

Taiwan ist ferner gezwungen, offiziell den alten Namen «Republik China» beizubehalten. Würde es sich offiziell in Taiwan umbenennen, wäre dies laut Gunter Schubert «ein Bruch mit dem für Peking sakrosankten Ein-China-Prinzip» – und ein Casus Belli: «In diesem Fall würde Peking sehr wahrscheinlich militärisch reagieren.»

Chinesische Einheit mit zwei Staaten

Taiwan ertrage das Spannungsfeld zwischen chinesischem Hegemonie- und eigenem Souveränitätsanspruch derzeit «mit viel Pragmatismus», so Schubert. Normalisieren könne sich die Situation aber erst, wenn China «das dogmatische Narrativ der Einheit von Staat und Nation» über Bord werfe.

Der Frieden beginne mit der Einsicht auf dem Festland, «dass es das kleine Taiwan nicht in einen gesamtchinesischen Staat hineinzwingen muss». Ein friedliches Zusammenleben würden bereits heute viele einfache Menschen auf dem Festland und auf der Insel den politischen Eliten vormachen: «Man versteht sich gegenseitig bestens – als Menschen mit einem geteilten kulturellen Hintergrund, die in zwei Staaten leben.»

Buchhinweis

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Gunter Schubert: «Kleine Geschichte Taiwans». C.H. Beck, 2024.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Talk, 10.7.2024, 9:03 Uhr.

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