Der neu vereidigte Präsident Taiwans, William Lai, sagt, er werde sich an den Status quo in den Beziehungen zu China halten. Heisst: Lai will China nicht formell die Unabhängigkeit erklären. Er möchte aber auch nicht, dass China, das Anspruch auf Taiwan erhebt, über Taiwan herrscht. Doch dieser seit Jahrzehnten andauernde Status quo gerät zunehmend unter Druck.
Insel Kinmen im Fokus
Besonders augenfällig wurde dies in den vergangenen Wochen rund um die taiwanesische Inselgruppe Kinmen, die wenige Kilometer vor der chinesischen Küste liegt.
Fischer Wu steuert sein Boot Richtung Festlandchina. Die Wolkenkratzer der lediglich vier Kilometer entfernten Küstenstadt Xiamen sind klar erkennbar. Plötzlich stoppt Wu und schaut angespannt aus den Fenstern seiner Führerkabine und immer wieder auf den Radar.
Bis sein Blick ein weisses Schnellboot fixiert: die chinesische Küstenwache. Sie wolle zeigen, dass sie uns sehe, sagt Wu. Dies, weil die Medianlinie nicht weit weg sei.
«Auf der anderen Seite ist verbotenes Gewässer. Die andere Seite gehört ihnen, diese Seite ist unsere.»
Diese inoffizielle Grenze haben beide Seiten lange mehrheitlich respektiert. Doch in den vergangenen Wochen sind wiederholt Patrouillen der chinesischen Küstenwache in taiwanesisches Gebiet eingedrungen.
Fischer sterben bei Vorfall
Als Vorwand dient ein Zwischenfall auf der taiwanesischen Seite der Gewässer. Im Februar ist hier ein chinesisches Fischerboot aufgetaucht. Die taiwanesische Küstenwache intervenierte. Das Boot kenterte, zwei chinesische Fischer starben. Details zum Vorfall gibt es keine.
Aber seither seien die taiwanesischen Fischer vorsichtiger geworden, meint Wu. Von seinem Fischerboot ist klar zu beobachten, wie wichtig die Taiwanstrasse für den globalen Welthandel ist. Zahlreichen Frachtschiffe sind zu sehen.
Druck auf neuen Präsidenten
Dass die chinesische Küstenwache immer wieder in die Gewässer rund um Kinmen fährt, sei eine politische Botschaft. Das sagt Stadtrat Tung Sen-pao. China wolle damit die neue Lai-Regierung testen.
Kurz vor der Amtseinsetzung des neuen taiwanesischen Präsidenten berichteten die chinesischen Propagandamedien, dass die Kinmen-Strategie auf die ganze Taiwanstrasse ausgeweitet werden könnte.
Konkret hiesse dies, dass nicht nur die inoffizielle Grenze rund um Kinmen nicht mehr geachtet würde, sondern generell jegliche informelle Grenzen zwischen Taiwan und der Volksrepublik China.
«Weil die Beziehungen schlecht sind, kommen sie nun öfter», beobachtet Fischer Wu. Er sagt, die Chinesen meinten, es gebe keine verbotenen Gewässer, alles gehöre ihnen.
Genau das ist die offizielle Haltung Chinas, und auf diese pocht Peking derzeit mit Nachdruck. Eine grosse Herausforderung für den neuen taiwanesischen Präsidenten Lai. Den damit rüttelt Peking am Status quo, an den sich Lai halten will.