Anna Katharina Schaffner erforschte als Professorin die historische Bedeutung des Phänomens Erschöpfung. Dann erlitt sie selbst ein Burnout. Heute nutzt sie ihre umfassenden Erfahrungen als Therapeutin und coacht Menschen, die unter Energieverlust leiden. Im Gespräch erklärt die Fachfrau, weshalb das Thema Erschöpfung nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein kulturelles Phänomen ist.
SRF: Sie sind Expertin für Erschöpfung, haben zu diesem Thema geforscht und Bücher geschrieben. Vor gut einem Jahr erlitten Sie selbst ein Burnout. Wie ist es dazu gekommen?
Anna Katharina Schaffner: Ich litt unter klassischen Symptomen: chronische Erschöpfung, Reizbarkeit, Bitterkeit und das Gefühl, dass alles zu viel ist und nichts mehr Freude macht. Zudem prägte mich ein protestantisches Arbeitsethos, das verlangt, die eigene Existenz ständig durch Leistung zu rechtfertigen.
Wie haben Sie den Weg aus der Erschöpfung gefunden?
Ich entschied, dass ich so nicht weiterleben will und mein Leben radikal ändern muss. Mir tat es gut, viel Zeit in der Natur zu verbringen, zu joggen und die Erlebnisse mit einer Therapeutin zu verarbeiten.
Wichtig ist, zu erkennen, was uns Energie raubt und was uns Energie gibt.
Jetzt arbeiten Sie nicht mehr an der Universität, sondern als Burnout-Coach. Wer kommt zu Ihnen in die Therapie?
Unterschiedliche Menschen: CEOs, Profisportler, Aktivisten, Künstlerinnen, Schriftsteller, Ärztinnen und Akademiker. Viele von ihnen haben ähnliche Eigenschaften: hohe Ansprüche an sich selbst, hohes Engagement und Pflichtbewusstsein. Gleichzeitig kämpfen sie oft mit einem starken inneren Kritiker.
Welche neuen Formen der Erschöpfung nehmen Sie wahr?
Eltern-Burnout ist ein grosses, neues Thema, das eng mit unseren hohen Erziehungsidealen verknüpft ist. Wir verfügen heute über mehr Wissen in der Entwicklungspsychologie und gehen achtsam mit Themen wie Traumata und frühkindlicher Erziehung um. Diese Entwicklungen sind positiv, doch ich denke, unsere Erziehungsideale sind unrealistisch geworden. Viele Eltern haben das Gefühl, den Idealen nicht gerecht zu werden.
Sie kritisieren, dass wir heutzutage so hohe Erwartungen an die Arbeit haben – sie soll Sinn stiften und zur Selbstverwirklichung beitragen. Ist das nicht etwas Positives?
Die Heils-Erwartungen an die Arbeit haben dazu geführt, dass wir unglaublich hohe Ideale damit verbinden, denen wir oft nicht gerecht werden. Da wir so viele menschliche Grundbedürfnisse auf die Arbeit projizieren, hat es katastrophale Folgen, wenn wir in der Arbeit scheitern. Es ist wichtig, neben der Arbeit Dinge zu tun, die einfach Spass machen – ohne Verkaufswert oder Selbstoptimierung.
Balance ist wichtig, um einen Ausgleich zwischen Arbeit und Aktivitäten zu schaffen.
Helfen alte philosophische Ansätze wie die der Stoa, um mit solchen Herausforderungen umzugehen?
Die Stoiker waren sehr pragmatisch und lehrten, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf das richten sollten, was wir kontrollieren können. Ich denke, sie haben gute Ansätze, wenn es um Energiemanagement geht. Wenn man wenig Energie hat, muss man umso bewusster damit umgehen. Wichtig ist dabei, nicht nur zu erkennen, was uns Energie raubt, sondern auch, was uns Energie gibt.
Sie selbst haben Ihre Energie wieder gefunden. Wie schaffen Sie es, Ihr Gleichgewicht zu bewahren?
Balance ist wichtig, um einen Ausgleich zwischen Arbeit und Aktivitäten zu schaffen, die mir Spass machen und mich lebendig fühlen lassen. Zudem achte ich darauf, dass mein innerer Monolog neutral oder positiv bleibt und nicht ins Negative abgleitet.
Das Gespräch führte Yves Bossart.