«Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf», so wird es uns gelehrt. Aber ist das eigentlich richtig? Ist der Mensch, wenn er nur kann, wesenhaft böse? Er ist auf jeden Fall zum Schlimmsten fähig, das wissen wir bereits.
Thomas Hobbes, dem dieses Zitat zugeschrieben wird – obwohl es auch schon einige vor ihm äusserten –, sagte nämlich auch, dass der Mensch dem Menschen ein Gott sei, also durchaus auch zum Besten fähig.
Geschaffen für eine andere Welt
Damit kommen wir der Wahrheit ein grosses Stück näher: im Grunde sind wir gut. Das sagen Evolutionsbiologen genauso wie Archäologen und Moralphilosophen.
Die Bestsellerautoren Carel van Schaik und Kai Michel sind sich sicher: Wir sind für eine andere Welt erschaffen, stattdessen leben wir Jenseits von Eden in einer Welt voller Kriege und Katastrophen.
Blick auf die Evolution
«Man könnte den Eindruck haben, dass das unser Schicksal ist. Aber das ist es nicht.» Dafür müsse man den Blick auf die gesamte menschliche Evolution weiten.
Denn als wir Menschen noch in kleinen Gruppen als Jäger und Sammlerinnen lebten, das heisst vor der neolithischen Revolution in der Jungsteinzeit, waren wir höchst kooperative und solidarische Wesen.
Kooperation war die einzige Lebensversicherung, die wir hatten. In den letzten 10'000 Jahren wurde die Vereinzelung aber immer stärker zu unserem Schicksal, die alte Welt sei uns damit abhandengekommen.
Leben im Ausnahmezustand
Kriege, Flüchtende, Katastrophen – alles nicht unsere Schuld? Das Entscheidende sei, dass wir uns besser verstehen müssen, klären, was es evolutionär heisst, Mensch zu sein. Dafür sei der weite Blick zurück wichtig.
Weit zurück heisst in dem Fall 7 Millionen Jahre, wobei es den modernen Menschen, also den Homo sapiens, erst seit 300'000 Jahren gibt. In sogenannten Zivilisationen leben wir wiederum bloss seit circa 5'000 Jahren.
«Wenn man nun diese 5'000 Jahre Zivilisation auf die 300’000 Jahre der Existenz des Homo sapiens bezieht, entspricht das gerade mal einer Minute von einer kompletten Stunde.» Anders gesagt: Wir leben in einem absoluten Ausnahmezustand, halten ihn aber für natürlich.
Gesellschaftliche Kurzsichtigkeit
Wenn wir uns in unserer Wahrnehmung also auf diese unheimlich kurze Zeitspanne beschränken, entgeht uns, wie der Mensch den grössten Teil in seiner Geschichte eigentlich gelebt hat. «Wir sind damit blind für die Wahrheit», so Michel und van Schaik.
Wichtig sei das auch deswegen, weil dieser gewaltige evolutionäre Zeitraum nicht nur «unsere Körper, sondern auch unsere Psychologie formte». Da damals Bedingungen herrschten, die zum aktuellen Zustand nicht gegensätzlicher sein könnten, gilt es genau hinzuschauen.
Zur wahren Demokratie
Michel und van Schaik plädieren daher für eine Rückbesinnung auf unsere «erste Natur» der Jägerinnen und Sammler. Kein Zurückdrehen der Uhr, aber ein gemeinsames Infragestellen des Status quo.
Es gelte, eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle eine Stimme haben, die möglichst niemanden ausschliesst. Eine Gesellschaft auch, die egalitärer ist, in der Einkommen und Reichtum besser verteilt wären.
Eine wahre Demokratie eben. Klingt blauäugig? Aber welche Alternative haben wir denn?