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Welche Menschen wollen wir sein?
Aus Sternstunde Religion vom 15.10.2023.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 59 Minuten 4 Sekunden.

Carel van Schaik & Kai Michel Die Welt im Krisenmodus – Warum Menschen nicht dafür gemacht sind

Die Welt ist aus den Fugen geraten: Kriege, Klima, Flüchtende, Pandemien – irgendwie herrscht permanent Krise. Doch das sei nicht allein unsere Schuld, sagen Carel van Schaik und Kai Michel. Um dieser These nachzugehen, tauchen sie für ihr neues Buch «Mensch sein» in unsere Evolutionsgeschichte ein.

«Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf», so wird es uns gelehrt. Aber ist das eigentlich richtig? Ist der Mensch, wenn er nur kann, wesenhaft böse? Er ist auf jeden Fall zum Schlimmsten fähig, das wissen wir bereits.

Thomas Hobbes, dem dieses Zitat zugeschrieben wird – obwohl es auch schon einige vor ihm äusserten –, sagte nämlich auch, dass der Mensch dem Menschen ein Gott sei, also durchaus auch zum Besten fähig.

Geschaffen für eine andere Welt

Damit kommen wir der Wahrheit ein grosses Stück näher: im Grunde sind wir gut. Das sagen Evolutionsbiologen genauso wie Archäologen und Moralphilosophen.

Besucher einer Ausstellung betrachten Büsten der Vorfahren des Homo sapiens.
Legende: Hilft uns der Blick in die Evolutionsgeschichte des Homo sapiens, um in der heutigen Welt der multiplen Krisen den Verstand zu behalten? IMAGO / momentphoto / Killig

Die Bestsellerautoren Carel van Schaik und Kai Michel sind sich sicher: Wir sind für eine andere Welt erschaffen, stattdessen leben wir Jenseits von Eden in einer Welt voller Kriege und Katastrophen.

Blick auf die Evolution

«Man könnte den Eindruck haben, dass das unser Schicksal ist. Aber das ist es nicht.» Dafür müsse man den Blick auf die gesamte menschliche Evolution weiten.

Carel van Schaik und Kai Michel

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Carel van Schaik

Der Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe erforscht die Wurzeln der menschlichen Kultur und Intelligenz bei Menschenaffen. Er war Professor an der Duke University (USA) und Professor für biologische Anthropologie an der Universität Zürich, wo er als Direktor dem Anthropologischen Institut und Museum vorstand. Er lebt in Zürich.

Kai Michel

Der Historiker, Literaturwissenschaftler und Autor war Wissenschaftsredakteur bei GEO, bei Der Zeit und bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er ist Co-Autor der Bestseller «Das Tagebuch der Menschheit» und «Die Wahrheit über Eva». Er lebt in Zürich und im Schwarzwald.

Denn als wir Menschen noch in kleinen Gruppen als Jäger und Sammlerinnen lebten, das heisst vor der neolithischen Revolution in der Jungsteinzeit, waren wir höchst kooperative und solidarische Wesen.

Kooperation war die einzige Lebensversicherung, die wir hatten. In den letzten 10'000 Jahren wurde die Vereinzelung aber immer stärker zu unserem Schicksal, die alte Welt sei uns damit abhandengekommen.

Leben im Ausnahmezustand

Kriege, Flüchtende, Katastrophen – alles nicht unsere Schuld? Das Entscheidende sei, dass wir uns besser verstehen müssen, klären, was es evolutionär heisst, Mensch zu sein. Dafür sei der weite Blick zurück wichtig.

Weit zurück heisst in dem Fall 7 Millionen Jahre, wobei es den modernen Menschen, also den Homo sapiens, erst seit 300'000 Jahren gibt. In sogenannten Zivilisationen leben wir wiederum bloss seit circa 5'000 Jahren.

«Wenn man nun diese 5'000 Jahre Zivilisation auf die 300’000 Jahre der Existenz des Homo sapiens bezieht, entspricht das gerade mal einer Minute von einer kompletten Stunde.» Anders gesagt: Wir leben in einem absoluten Ausnahmezustand, halten ihn aber für natürlich.

Gesellschaftliche Kurzsichtigkeit

Wenn wir uns in unserer Wahrnehmung also auf diese unheimlich kurze Zeitspanne beschränken, entgeht uns, wie der Mensch den grössten Teil in seiner Geschichte eigentlich gelebt hat. «Wir sind damit blind für die Wahrheit», so Michel und van Schaik.

Zwei Männer sitzen auf einer Parkbank. Links ein Mann mit Halbglatze, rechts grauhaariger Mann.
Legende: Autorenduo Kai Michel (links) und Carel van Schaik. In ihrem Buch «Mensch sein» erläutern sie, wie es dazu kommen konnte, dass wir eine Existenz im Ausnahmezustand führen. Rowohlt / Ruben Hollinger

Wichtig sei das auch deswegen, weil dieser gewaltige evolutionäre Zeitraum nicht nur «unsere Körper, sondern auch unsere Psychologie formte». Da damals Bedingungen herrschten, die zum aktuellen Zustand nicht gegensätzlicher sein könnten, gilt es genau hinzuschauen.

Zur wahren Demokratie

Michel und van Schaik plädieren daher für eine Rückbesinnung auf unsere «erste Natur» der Jägerinnen und Sammler. Kein Zurückdrehen der Uhr, aber ein gemeinsames Infragestellen des Status quo.

Es gelte, eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle eine Stimme haben, die möglichst niemanden ausschliesst. Eine Gesellschaft auch, die egalitärer ist, in der Einkommen und Reichtum besser verteilt wären.

Eine wahre Demokratie eben. Klingt blauäugig? Aber welche Alternative haben wir denn?

Buchhinweis

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Carel van Schaik, Kai Michel: «Mensch sein. Von der Evolution für die Zukunft lernen», Rowohlt, 2023.

Erscheinungstermin: 17.10.2023.

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SRF 1, Sternstunde Religion, 15.10.2023, 10:00 Uhr

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