Jeder Mensch in der Schweiz hat von Amtes wegen ein Geschlecht. Wir alle sind im Personenstandsregister als weiblich oder männlich eingetragen. Doch was, wenn keine der zwei Kategorien passt? Was wenn eine Person intergeschlechtlich ist oder nicht-binär?
Um auch diesen Menschen gerecht zu werden, empfiehlt die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin NEK: Der Bund soll eine dritte Eintragungsmöglichkeit einführen und mittelfristig gar den vollständigen Verzicht auf einen Geschlechtseintrag prüfen.
Alte Geschlechterordnungen prägen die Gesetze
Das hätte auch Folgen für die Formulierung bestimmter Gesetze. Denn es ist ziemlich viel Geschlecht im Schweizer Recht – etwa im Militärgesetz, im Sozialversicherungs- oder Familienrecht.
Hier bestimmt unser registriertes Geschlecht, ob wir militärdienstpflichtig sind, eine Witwenrente oder eine spärlichere Witwerrente bekommen und ob wir früher oder später in Pension gehen.
Rollen sind wichtiger als das Geschlecht
«Häufig stecken hinter diesen Regelungen bestimmte Rollenvorstellungen», sagt Andrea Büchler, Rechtsprofessorin an der Universität Zürich und Präsidentin der Nationalen Ethikkommission NEK.
Der Unterschied zwischen Witwen- und Witwerrente etwa basiere auf dem Bild einer arbeitsteiligen Ehe. Kurz: Die Frau schaut zu den Kindern, der Mann bringt das Geld nach Hause.
Die Realität hat diese Rollenverteilung – wie sie im Gesetz verankert ist – überholt. Rolle und Geschlecht sind heute nicht mehr a priori deckungsgleich. Da bietet es sich also geradezu an, den Begriff des «Geschlechts» durch den der «Rolle» zu ersetzen.
Die Abschaffung des Begriffs «Mutter» im Gesetz
Adieu Ehefrau und Ehemann. Adieu Hausfrau und Brotverdiener – und in letzter Konsequenz auch adieu Mutter und Vater. Letzteres zwei Begriffe, die im Abstammungsrecht verankert sind. Den Begriff «Mutter» aus dem Gesetz zu entfernen rührt allerdings an ein gesellschaftlich tief verankertes Tabu.
Aber an eines, das aus rechtlicher Sicht, erstaunlich unproblematisch und leicht zu ersetzen sei, so NEK-Präsidentin Andrea Büchler: «Als Mutter gilt im Gesetz die Person, die das Kind geboren hat. Das entscheidende Kriterium, ob ein Mensch als Mutter definiert wird, ist also die Geburt und nicht das Geschlecht.»
Die Geburt ist entscheidend nicht das Geschlecht
«Mutter» könnte im Gesetz somit ganz einfach ersetzt werden, durch «Die Person, die das Kind geboren hat». Das kann eine Person sein, die sich als weiblich definiert. Aber auch ein Mensch, der sich trotz Gebärmutter als Mann erlebt.
Es wäre also vieles möglich. Trotzdem birgt die Entfernung der Geschlechterkategorien aus den Gesetzesbüchern auch Gefahren, erinnert Andrea Büchler: «Es wird eine Herausforderung sein, die nötigen Daten zu erhalten, um beispielsweise gegen Lohndiskriminierung vorzugehen.»
Denn Diskriminierung verläuft heute immer noch häufig entlang der Geschlechterkategorien. Auch wenn die gelebten Rollen längst keinen klaren Grenzlinien mehr folgen.