Seit im Juni das Urteil des Obersten Gerichtshof in den USA den Weg für Abtreibungsverbote ebnete, kocht das Thema auch in der Schweiz wieder hoch. In mehreren Städten wurde protestiert.
Eine Gruppe von SVP-Nationalrätinnen und -Nationalräten sammelt derzeit Unterschriften für zwei Initiativen, um das Recht auf Abtreibung in der Schweiz einzuschränken. Wer sind die Befürworterinnen und Befürworter solcher Verbote?
Stimmen aus konservativen Kreisen
Eine grosse Mehrheit der Abtreibungsgegnerinnen und -gegner sei religiös motiviert, sagt der Leiter der Informationsstelle Relinfo Georg Otto Schmid. Dies sei nicht überraschend: «Konservative Formen aller Religionen stehen Abtreibungen kritisch gegenüber».
Die abtreibungskritischen Stimmen in der Schweiz kommen häufig aus konservativen römisch-katholischen oder freikirchlichen Kreisen.
Junge Generation tickt anders
Bei den Freikirchen würde momentan wahrscheinlich die Mehrheit ein Abtreibungsverbot befürworten, meint Religionswissenschaftler Schmid. Doch das verändere sich zurzeit stark durch eine neue Strömung, die sich postevangelikal nenne: «Das sind junge Menschen, die freikirchliche Werte vertreten. Sie selbst stehen der Abtreibung zwar kritisch gegenüber, sind aber trotzdem für die freie Wahl».
Der Trend hin zu einer stärker postevangelikalen Einstellung in Freikirchen sei klar zu erkennen: «In einer solch konservativen Subkultur zeigen sich gesamtgesellschaftliche Veränderungen typischerweise mit einer Verzögerung von einigen Jahren oder gar Jahrzehnten», so Georg Otto Schmid.
Stadt-Land-Graben
In römisch-katholischen Kreisen dürfte die Unterstützung eines Abtreibungsverbots wohl auch nur im konservativen Flügel mehrheitsfähig sein.
Georg Otto Schmid vermutet, dass im Gegensatz zu Freikirchen der Wohnort eine Rolle spielt: «Der Katholizismus unterscheidet sich je nach Milieu: ob in ländlichem, traditionellen Milieu oder in der Stadt. Der urbane Katholizismus ist in gesellschaftlichen Fragen nicht konservativ».
Minderheit am «Marsch fürs Läbe»
Eine Veranstaltung, die stets viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist der «Marsch fürs Läbe»; eine Demonstration gegen Abtreibungen, die dieses Jahr im September stattfindet. Besucht wird der «Marsch fürs Läbe» vor allem von römisch-katholischen und freikirchlichen Menschen.
Der Marsch stosse aber auch innerhalb dieser Gruppen auf Kritik. Vielen sei er zu provokativ, so Schmid.
Nur etwa 0.2 Prozent der circa 300'000 Mitglieder von Freikirchen liefen beim letzten «Marsch fürs Läbe» mit. Bei den Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche sei diese Prozentzahl noch kleiner: 800 von etwa 3 Millionen, also 0.025 Prozent. «Das ist eine verschwindend kleine Minderheit», betont der Religionswissenschaftler.
Schlechtes Image wegen Marsch
Nicht nur die Zahlen seien gering, sondern auch der Einfluss des «Marsch fürs Läbe» auf den Rest der Bevölkerung: «Der Einfluss ist gleich null», so Schmid.
Der Marsch mobilisiere sogar die Gegnerschaft. «Für die beteiligten Organisationen wirkt sich der Marsch nachteilig aus», sagt Schmid. Nachdem die Diskussion um Abtreibung diesen Sommer sehr emotional gewesen ist, kann man wohl damit rechnen, dass die Fronten beim «Marsch fürs Läbe» im September noch stärker verhärtet sind.