Wieso wird in der Schweiz gegen das US-Urteil demonstriert? Der Oberste Gerichtshof der USA hat den Weg geebnet für Abtreibungsverbote in einzelnen Bundesstaaten. Nun schwappen die Proteste auf die Schweiz über. Unter anderem in Luzern, St. Gallen, Genf und Neuenburg sollen am Dienstagabend Demonstrationen stattfinden.
Am Donnerstag soll es Kundgebungen in Zürich und Lausanne geben. «Das Urteil in den USA zeigt, dass Angriffe auf unser Recht auf Abtreibung und Selbstbestimmung alltäglich sind und weltweit passieren. Das darf nicht sein», sagt Organisatorin Miriam Helfenstein von den feministischen Streik-Kollektiven.
Wie stehen die Chancen von Abtreibungsgegnern in der Schweiz? Das Urteil in den USA gibt den Forderungen von Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern in der Schweiz wieder Aufwind. Das bestätigt Politologe Michael Hermann: «Das Thema bekommt jetzt auch hierzulande wieder Aufmerksamkeit und Legitimation. Die Stimmen für Abtreibungsverschärfungen bilden in der Schweiz aber eine klare Minderheit und sind nicht mehrheitsfähig.» Frühere Abstimmungen zu Abtreibungsanliegen bestätigen Hermanns Einschätzung.
Wie wollen Gegner das Recht auf Abtreibung in der Schweiz einschränken? Eine Gruppe rund um die SVP-Nationalrätinnen Yvette Estermann (LU), Andrea Geissbühler (BE) und den Nationalrat Erich von Siebenthal (BE) sammelt derzeit Unterschriften für zwei Initiativen, um das Recht auf Abtreibung in der Schweiz einzuschränken. Es gehe darum, eine Diskussion über Abtreibung in der Schweiz zu lancieren, betont Andrea Geissbühler. «Es ist für Frauen wichtig, dass wir dieses Thema anschauen. Denn es geht nur um eine Präzisierung der bestehenden Gesetze und darum, Leben zu retten.»
Sind politische Mehrheiten für Forderungen gegen Abtreibungen denkbar? In der Schweiz bewirtschaftet keine grössere Partei das Thema Abtreibungen. Keine einzige Partei spricht sich bislang für die beiden Volksinitiativen aus – auch die SVP steht nicht geschlossen hinter den Vorstössen ihrer Vertreter. Ähnlich wie das Urteil in den USA zeigen die Schweizer Vorstösse keinen generellen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. «Sowohl die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner als auch der überwiegende Teil der Schweizer Bevölkerung steht klar hinter der Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen», betont Politologe Michael Hermann.
Wie viel wird in der Schweiz abgetrieben? Jährlich treiben in der Schweiz zwischen 10'000 und 11'000 Frauen ab. Laut Bundesamt für Statistik ist diese Zahl seit 2004 etwa gleich geblieben – obwohl die Einwohnerzahl massiv zugenommen hat. Das heisst, es gibt heute pro 1000 Frauen in der Schweiz weniger Abtreibungen als noch vor 15 Jahren. Im Jahr 2020 fanden in der Schweiz 11'143 Schwangerschaftsabbrüche statt. Das sind rund sieben Abtreibungen pro 1000 Frauen – eine im europäischen Vergleich niedrige Quote.
Wie sind Abtreibungen in der Schweiz geregelt? In der Schweiz darf eine Frau bis zur 12. Schwangerschaftswoche legal abtreiben. Danach nur noch, wenn es dringende medizinische Gründe dafür gibt. Dies ist mit der Fristenlösung im Strafgesetzbuch festgehalten, die seit 20 Jahren gilt. Das Abtreibungsrecht in der Schweiz ist im europäischen Vergleich eher streng.