Werner Herzogs Filme zeigen meist absolute Grenzsituationen menschlicher Existenz. Düster sind auch seine Prognosen zur Zukunft unseres Planeten. Ein Gespräch zwischen Hoffnungslosigkeit und Trost.
SRF: Ihre Dokus und Filme handeln oft von Menschen, die sich bewusst in Todesgefahr begeben, wie etwa der «Grizzly Man», das Vulkanforscher-Paar von «Die innere Glut» oder der Bergsteiger Reinhold Messner. Man hat den Eindruck, dass Sie gerne an Orte gehen, an denen Sie in Todesnähe geraten.
Werner Herzog: Nein. Ich bin ein professioneller Mensch. Ich will mit einem Film zurückkommen. Manchmal erfordert es, dass ich mich in riskante Zonen begebe. Aber ich selbst und diese Erfahrung selbst sind unwesentlich. Für mich zählt nur, was das Publikum sieht.
In ihrer Doku «Grizzly Man» geht es um einen jungen Mann, der sich als Schützer der Grizzlys versteht. Später wird er von diesen angefallen und gefressen. Man sieht dabei zu, wie sich ein Mensch in eine Gefahr begibt, die man als Zuschauerin oder Zuschauer kaum aushält.
Dieser Film ist in den USA wie eine Bombe eingeschlagen. Weil man dort kein Verhältnis mehr dazu hat, was Natur ist. Alles ist von Walt Disney bestimmt. Die Natur ist dabei völlig indifferent und gleichgültig.
Wir sollten die Haltung haben, die Welt wiederherzustellen.
Auch das Weltall ist feindselig, chaotisch und unbewohnbar. Dieses philosophische Missverständnis der wilden Natur hat Timothy Treadwell und seiner Freundin den Tod gebracht.
Was halten Sie von unserer Auffassung von Naturschutz? Ist das eine «Disneyisierung» der Natur?
Es wäre besser, wir würden die Natur besser verstehen. Aber dennoch sollten wir die Haltung haben, die Welt, die wir heruntergewirtschaftet haben, wiederherzustellen.
Es gibt zwei fundamentale Probleme, die den Hintergrund dieser ganzen Zerstörung bilden. Erstens sind wir zu viele Menschen. China hat versucht, die Geburtenraten zu beschränken – zum Glück, auch wenn die Resultate für die Individuen furchtbar waren. Sonst hätten wir heute 3000 Millionen Bürgerinnen und Bürger Chinas statt 1400 Millionen.
Die Weltbevölkerung hat sich um ein Mehrfaches vervielfältigt. Das ist eine Katastrophe.
Zweitens ist ein grosser Teil der Menschheit vom Konsum geprägt. Wenige Gesellschaften auf der Welt steuern dem entgegen oder leben anders – zum Beispiel die Amish. Die besitzen keine Maschinen, fahren mit Pferdewagen, verzichten auf Elektrizität und arbeiten als Familienlandwirtschaft. Trotzdem: Wir können nicht Milliarden von Menschen wieder zu Jägerinnen und Sammlern machen.
Ihre Generation spielt in diesem Geschehen eine Schlüsselrolle. Sie hat mehr Ressourcen verschwendet als zehntausende Generationen zuvor.
Die Weltbevölkerung hat sich von 1900 bis 2000 um ein Mehrfaches vervielfältigt. Das ist eine Katastrophe.
Ausserdem wurden Atomwaffen hergestellt und die grossen sozialen Utopien wie Kommunismus und Faschismus sind entstanden. Deswegen glaube ich, dass das 20. Jahrhundert in seiner Gesamtheit ein Fehler war. Jetzt müssen wir so schnell wie möglich aus diesem Fehler lernen.
Hoffnung? Da würde ich vorsichtig sein.
Haben Sie das Gefühl, dass das geschieht?
Wir haben keine Wahl. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir den Konsum einschränken müssen und dass wir vorsichtiger sind, wie viele Kinder wir in die Welt setzen.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Hoffnung? Da würde ich vorsichtig sein. Tröstung kann ich eher formulieren. Lesen Sie Hölderlin. Oder hören Sie sich grosse Musik an. Musik hat es in sich. Manchmal auch Filme – ganz selten, ganz, ganz selten.
Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger.