«Wie geht es Dir?» Die Neurowissenschaftlerin Maren Urner hält diese alltägliche Frage für die politischste Frage überhaupt. Denn Politik regle unser Leben und Zusammenleben. Wenn wir also Angst haben, verzweifelt sind, wütend oder erschöpft – dann sind diese Gefühle immer auch ein Spiegel der Politik, ein Symptom der Welt, in der wir leben.
Zugleich sei die Politik ein zutiefst emotionales Geschäft, meint Urner in ihrem neuen Buch «Radikal emotional. Wie Gefühle Politik machen». Denn hinter all den Interessen und Werten, mit denen sich die Politik beschäftigt, schlummern Gefühle. Überhaupt sei die Trennung von Verstand und Gefühl aus psychologischer und neurowissenschaftlicher Sicht längst überholt.
Unterschätzte Gefühle
Gefühle sind die unverzichtbare Grundlage jeder Entscheidung, jeder Wertung. Also sollten sich auch die Politik stärker mit unseren Gefühlen beschäftigen. Wovor haben wir Angst? Warum sind wir wütend? Woher kommt die allgemeine Erschöpfung?
Aber nicht nur das: Politikerinnen und wichtige Entscheidungsträger sollten sich auch mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzen – so die eigenen Entscheidungsgrundlagen besser kennenlernen und diese auch transparenter kommunizieren. Urner fordert sogar eine «emotionale Reifeprüfung» für alle wichtigen Posten in Politik, Wirtschaft, Medien etc..
Ein Standardtest für emotionale Intelligenz sozusagen, für uns «emotionale Analphabeten», die wir zu oft Angst vor den eigenen Gefühlen haben, diese verdrängen oder falsch deuten. Dabei wäre ein offener Zugang zu den eigenen Gefühlen so wichtig, meint Urner, auch zu vermeintlich «negativen» Gefühlen wie Wut und Trauer. Wir Menschen sind ja im Grunde genommen, so Urner zugespitzt, nichts weiter als «emotionale Blobs, die geliebt werden wollen».
Liebe als Grundhaltung
In politischen Debatten reicht es also nicht, die vermeintlich besseren Fakten, Gründe und Argumente griffbereit zu haben. Wir müssen vor allem das Vertrauen gewinnen, das Vertrauen derer, die wir überzeugen wollen. Das geht aber nur über Gefühle, über eine gemeinsame Basis, über Wohlwollen – ja letztlich über: Liebe.
Denn Liebe sei der tiefe Wunsch, so Urner, die andere Person wirklich verstehen zu wollen. Nur mit dieser Grundhaltung können wir die gesellschaftliche Spaltung überwinden und die Welt zu einem besseren Ort machen, auch für zukünftige Generationen. Und genau darum geht es Maren Urner letztlich.
«Wofür» statt «Wogegen»
Die Professorin für Medienpsychologie ist überzeugt: «Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen».
Wir sollten mehr über das «Wofür» sprechen als über das «Wogegen». Mehr über das, was uns verbindet, als über das, was uns trennt. Mehr neue Geschichten erfinden anstelle von alten Denkmustern. Nur so können wir verhindern, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören, meint Urner.
Denn Naturzerstörung ist Selbstzerstörung. Davon ist Maren Urner überzeugt. Darum redet sie lieber von «Selbstschutz» als von «Naturschutz». Wir sind ein Teil dessen, was wir zerstören. Das müssen wir verstehen. Nicht nur mit unserem Verstand, sondern vor allem: mit unserem Gefühl. Erst dann kommen wir ins Handeln.