Das Wichtigste in Kürze
- Die mediale Vorverurteilung ihrer Mandaten machte die Arbeit der Verteidigung am UNO-Kriegsverbrechertribunal zu einem mühseligen Kampf.
- Die schlechte Infrastruktur im Gebäude des UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erschwerte die Arbeit der Verteidiger zusätzlich.
- Die amerikanische Anwältin Colleen Rohan gründete in den Nullerjahren die Vereinigung der Tribunal-Verteidiger (ADC) und verbesserte damit deren Stand.
Am Anfang kamen die Paradiesvögel. Unter ihnen waren Anwälte aus dem ehemaligen Jugoslawien, die nach Den Haag eilten, weil sie gehört hatten, wie fürstlich das Tribunal bezahle. Einige sicherten sich die lukrativen Aufträge, indem sie das Honorar mit ihren Mandanten teilten.
Schräg war auch ein blutjunger Jurist, der im Hintergrundteam für den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic arbeitete. Zum Interview mit den Presseleuten erschien er in Trainerhosen.
Im Vier-Sterne-Hotel warf er theatralisch Zigaretten und Autoschlüssel auf das Bistrotischchen und begann in holprigem Englisch ein feurig nationalistisches Plädoyer für «meinen» Präsidenten zu halten. Den Einwand, Milosevic sei 2000 doch vom Volk gestürzt worden, liess er nicht gelten: «Einmal Präsident, immer Präsident.»
Verteidigung als Nebensache
Colleen Rohan kennt diese Geschichten aus der Anfangszeit nur vom Hörensagen. Die 67-jährige amerikanische Anwältin mit Büros in San Francisco, London und Den Haag ist in den Nullerjahren in die Niederlande gezogen, um mehreren Tribunal-Angeklagten beizustehen.
Damals habe sie gemerkt, dass sich bei der Gründung dieses UNO-Kriegsverbrecher-Gerichts niemand wirklich mit der Verteidigung auseinandergesetzt hätte.
Sechs Teams, ein Drucker
Sie erzählt von den lächerlichen Platzverhältnissen. Die Teams der sechs gleichzeitig laufenden Verfahren hätten von der Verwaltung damals nur gerade einen Büroraum in dem weitläufigen Tribunal-Gebäude zugewiesen bekommen – mit einem einzigen Drucker und zu wenig Computern.
Der Zutritt zur Tribunal-Bibliothek sei ihnen genauso verwehrt worden wie der Besuch in der Kantine. Wohl am meisten ärgerten sich die damaligen Verteidiger über die Eintrittspolitik.
Zwar händigte ihnen die Verwaltung rot markierte Badges aus, mit deren Hilfe sie das Gebäude betreten konnten. Drinnen hingen aber überall Schilder mit der Aufschrift: Kein Zugang für Badges mit roter Markierung.
Vereinte Verteidiger
Die Missstände wurden erst behoben als Colleen Rohan mit ein paar ihrer Kolleginnen und Kollegen die Vereinigung der Tribunal-Verteidiger (ADC) gründete. Von da an waren die Anwälte endlich ein Teil des Strafgerichts und wurden an wichtige Sitzungen der Richter oder der Verwaltung zugelassen.
Im Gegenzug sorgten sie dafür, dass die Angeklagten einzig und allein von ADC-Mitgliedern verteidigt wurden. Diese mussten sich strikt an die strengen Regeln der Organisation halten. Saloppe Auftritte oder geteilte Belohnung gehörten damit der Vergangenheit an.
Verpönte Pflichtverteidigerin
Der letzte Mandant von Colleen Rohan war Radovan Karadzic. Zwar verteidigte dieser sich selber. Aber aus Angst, er könnte krank werden, hatten die Richter ein Stand-By-Team ins Leben gerufen, das im Notfall übernehmen sollte.
Der ehemalige bosnische Serbenchef sei zu Beginn gar nicht erfreut gewesen über sie als Pflichtanwältin, erzählt Rohan. Als Karadzic jedoch begriffen habe, dass sie ihn bei seiner Selbstverteidigung unterstützen würde, habe er sich beruhigt.
Massive mediale Vorverurteilung
Die grösste Herausforderung war für die amerikanische Anwältin die massive mediale Vorverurteilung ihres Klienten. Niemand widerspreche, dass die meisten der zur Last gelegten Verbrechen tatsächlich verübt worden seien.
Aber darum gehe es in einem solchen Prozess nicht, sagt Rohan: «Die Frage ist doch, ob er tatsächlich verantwortlich ist für diese Verbrechen, denn er hat ja nicht selber Hand angelegt.»
Eine Frage der Perspektive
Als Anwältin müsse sie in einem so komplizierten Verfahren nicht nur einen guten Job machen. Sie müsse sich ständig die Frage stellen, ob sie trotz allen Behauptungen fähig sei, die Ereignisse aus der Perspektive des Angeklagten zu sehen.
Leicht sei diese Aufgabe nicht gewesen, sondern eher ein harter Kampf, erklärt Colleen Rohan. Die Richter haben Radovan Karadzic am 24. März 2016 zu einer 40-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 05.01.18, 09.02 Uhr