Das Porträtbild Anna Göldis, gemalt vom Schweizer Künstler Patrick Lo Giudice, ist leicht unscharf. 2008 entstanden, erzählt es so auch von der ungenauen verblassenden Erinnerung an diese Anna Göldi. Sie wurde 1782 in einem Hexenprozess für schuldig befunden und als «letzte Hexe Europas» hingerichtet. Was war damals geschehen?
Als Frau wurde man damals schnell verdächtig
Anna Göldi kam aus armen Verhältnissen, verlor früh ihr erstes Kind, weshalb sie der Kindstötung verdächtigt wurde. Ein zweites, unehelich geboren, brachte sie in Strassburg zur Welt und gab es in Obhut.
Nur schon dadurch war sie als Frau ihrer Zeit verdächtig. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Magd beim Glarner Arzt, Ratsherrn, Richter und Regierungsrat Johann Jakob Tschudi.
Angeklagt, gefoltert, hingerichtet
In Göldis Obhut war auch die kleine Tochter Tschudis. Als diese eines Tages Nadeln gespuckt haben soll und kurz darauf verstarb, geriet Göldi in Verdacht, das Kind mit Stecknadeln langsam und qualvoll zu Tode gebracht zu haben.
Eine Version besagte, sie habe die Nadeln mit Milch verabreicht, eine andere, sie habe die Nadeln in Gebäck verborgen. Göldi wurde angeklagt, gefoltert, gestand unter Folter und wurde schlussendlich hingerichtet – durch das Schwert am 13. Juni 1782.
Die Originaldokumente sind öffentlich – ein Glücksfall
Im Hänggiturm in Ennenda GL ist nun das Anna Göldi Museum eröffnet und beheimatet. Es zeigt neben Gegenständen aus der Zeit vor allem die Gerichtsakten, Folter- und Gerichtsprotokolle im Original.
Dass diese Dokumente überhaupt erhalten sind, ist erstaunlich. Der Gerichtsprozess wurde als Geheimprozess eingestuft, nichts durfte über ihn nach aussen dringen. Wäre da nicht der Gerichsschreiber Johann Melchior Kubli gewesen, der eine Abschrift der Akten heimlich weitergab. Heute würde man sagen, er hat sie «geleakt».
Diese Dokumente sind im Museum einzusehen und belegen heute zweifelsfrei die Unschuld Anna Göldis.
Göldi wurde zwischenzeitlich rehabilitiert. Am 10. Juni 2008 beschloss der Regierungsrat, Anna Göldi 226 Jahre nach ihrer Hinrichtung vom Tatbestand der «Vergiftung» zu entlasten. Zugleich stellte die Regierung dem Parlament den Antrag, den Prozess vom Juni 1782 als Justizmord zu bezeichnen.
Der lange Weg zur Rehabilitation
Dass es dazu kam, ist einerseits Eveline Hasler zu verdanken. Sie veröffentlichte 1982 ihren vieldiskutierten Tatsachenroman «Anna Göldin, letzte Hexe».
Andererseits ist es dem Juristen und Publizisten Walter Hauser gelungen, in einer grossen Recherche bis dahin unbekannte Quellen zu sichten und seine Ergebnisse 2007 in seinem Sachbuch «Justizmord an Anna Göldi» zu veröffentlichen. Beides sind die ausschlaggebenden Faktoren für die Rehabilitierung Göldis.
Im Museum sind jetzt die Quellen, die Originaldokumente dieser langen und tragischen Geschichte ausgestellt. Die Stiftung Anna Göldi und das Museum halten so die Erinnerung präsent.
Anna Göldis traurige Aktualität
Das sei wichtig, sagt Eveline Hasler: «Anna Göldi zu vergessen, wäre schlimm. Menschen zu vergessen, die durch die Gesellschaft haben leiden müssen, wäre wie eine Amputation unseres Gedächtnisses. Man weiss aus der Tiefenpsychologie, dass amputierte Erinnerungen zurückkommen: Es kommen Sachen zurück, die wir verdrängen und vergessen.»
Anna Göldi ist rehabilitiert, aber nicht ad acta gelegt. Das Bild, das man von Göldi durch die Ausstellung bekommt, ist ein scharfes und genaues.
Von der traurigen Aktualität Göldis kann man sich auch im Museum überzeugen: Amnesty International hat eine interaktive Installation aufgebaut, die zeigt, wo Menschen heute noch immer hingerichtet werden.
Sendung: Radio SRF1, Regionaljournal Ostschweiz, 18.8.2017, 17.30 Uhr