Nova Gorica, also das «neue Gorica», gibt es erst seit 78 Jahren. Zuvor gab es zwar bereits eine Stadt, nämlich Gorizia, doch diese schlugen die alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg Italien zu. Jugoslawien, das auf der anderen Seite der Grenze lag, bekam nur den Bahnhof.
Die Stadt musste also erst noch gebaut werden, wie die Filmemacherin Anja Medved erzählt: «Auf der jugoslawischen Seite gab es nichts, ausser einem alten Friedhof. Alles musste neu gebaut werden: Spitäler, Strassen, Schulen, und natürlich Häuser für all die Menschen, die aus ganz Jugoslawien hierherkamen, um die neue Stadt zu errichten.»
Jugoslawiens Vorzeigestadt
Nova Gorica wird zum Vorzeigeprojekt der neu geschaffenen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Breite Boulevards, klare Linien, dazwischen viel Grün. Eine Planstadt. Konzipiert von Edvard Ravnikar, einem Schüler von Le Corbusier.
Der Sozialismus habe gewissermassen ein Gegenprojekt gegen die alte mondäne Stadt, die nun im kapitalistischen Ausland lag, entwickelt, so Medved. Gorizia, in der Österreich-Ungarischen Monarchie als «Nizza des Ostens» bekannt, war eine Stadt des Handels und des Tourismus, ein Ort an der Grenze zwischen Alpen und Adria, zwischen dem Westen und dem Balkan.
Gorizia auf der einen, Nova Gorica auf der anderen Seite. Und dazwischen schnitten Stacheldraht, Wachtürme und Grenzübergänge Häuser, Felder, Plätze und sogar einen Friedhof entzwei. Es sei ein bisschen wie in Berlin gewesen, sagen manche, doch Anja Medved winkt ab: «In der Schule lernten wir, Jugoslawien sei das offenste Land Europas. Zumindest für uns hier in der Region war das auch so.»
Italienisch lernen mit Trickfilmen
Mit 12 bis 13 Jahren erhielten alle Einwohnerinnen und Einwohner eine spezielle Identitätskarte, «Propustnica» oder «Lasciapassare» genannt, mit der sie hin und her reisen konnten. Und Italienisch, das früher Verkehrssprache war, lernte auch die neue Generation ziemlich schnell: «Als Kinder schauten wir am liebsten Trickfilme, und die waren bei RAI besser als bei uns», erzählt Medved.
Der kleine Grenzverkehr intensivierte sich mit dem Beitritt Sloweniens zu EU und Schengenraum. Seither verstünden sich die Leute vor Ort als Europäerinnen und Europäer, ohne aber ihre Verbundenheit mit Kultur und Sprache abzulegen, wie die beiden Bürgermeister Samo Turel und Rodolfo Ziberna unterstreichen: «Dass wir nach so vielen Jahren der Trennung nun wieder zusammenarbeiten, ist wirklich aussergewöhnlich.»
Schützengräben und Friedhöfe
In der Tat. Wenn man den Blick schweifen lässt, entdeckt man an den Berghängen und in den Tälern hinter Nova Gorica Schützengräben und Friedhöfe. Hier verlief im Ersten Weltkrieg die Front zwischen Italien und Österreich-Ungarn. Zweieinhalb Jahre lang lieferten sich die Armeen der beiden Länder Schlachten, die über eine Million Tote forderten.
Die blutigen Kämpfe gingen als «die zwölf Schlachten am Isonzo» in die Geschichte und dank Ernest Hemingways «Farewell to Arms» in die Literatur ein.
Heute wisse niemand, wo Gorizia liege, sagt eine Passantin, dabei hätte die Stadt eine tausendjährige Geschichte. Doch dies wird sich nun ändern. 2025 werden die beiden Städte, die am äussersten Rand ihrer Länder kleben, ein Jahr lang im Zentrum Europas stehen.