Eigentlich herrschen beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) seit letztem Wochenende klare Verhältnisse: Gottfried Locher hat sich an der Abgeordnetenversammlung in Schaffhausen mit 43 Stimmen klar gegen die Zürcher Pfarrerin Rita Famos durchgesetzt, die auf 24 Stimmen kam. Und trotzdem: Es rumort bei den Schweizer Reformierten weiter.
Das Schweigen des Präsidenten
Daran ist Gottfried Locher nicht ganz unschuldig. Zunächst wollte er in Schaffhausen keine Rede halten, obwohl das «Wort des Ratspräsidenten» Tradition hat.
Pfarrerin und Famos-Unterstützerin Doris Wagner, die für den Kanton Baselland in der Abgeordnetenversammlung sitzt, zeigt für Lochers Verhalten kein Verständnis: «Locher sagte, er hätte in den letzten zwei Wochen keine Zeit gefunden, ein Wort des Ratspräsidenten vorzubereiten. Dabei hat niemand eine Regierungserklärung erwartet. Aber fünf oder sechs Sätze, das sollten wir als Pfarrerinnen und Pfarrer jederzeit hinkriegen. Das gehört zu unserem Beruf.»
Selbst Locher-Unterstützer hatten Mühe mit dem Schweigen des Präsidenten. Sie überzeugten Locher, später das «Wort des Ratspräsidenten» nachzuholen.
Dynastien verhindern
Die Kritik an Locher ist auch in die geplante Verfassung eingeflossen – zumindest indirekt. Die Abgeordneten einigten sich überraschend auf etwas, was sie in der ersten Lesung noch abgelehnt hatten: eine Begrenzung der Amtszeit. Die Ratsmitglieder dürfen künftig höchstens drei Perioden amtieren, mit 70 Jahren müssen sie aufhören.
Man wolle so Dynastien verhindern, hiess es bei den Abgeordneten. Ansonsten ist die Verfassungsreform auf gutem Weg. Sie soll im Herbst verabschiedet werden und Anfang 2019 oder 2020 in Kraft treten.
Schritt auf die Kritiker zu
Gelöster als in Schaffhausen zeigte sich Gottfried Locher am Donnerstag beim Papst-Besuch in Genf. Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch hatte es ermöglicht, dass Locher den Papst auf dem Rollfeld begrüssen konnte.
Beim Papst-Besuch verzichtete Locher auf sein Hugenotten-Kreuz – und ging damit einen Schritt auf seine Kritiker zu, die ihn zu mehr Demut und Bescheidenheit aufgefordert hatten. «Ich habe mich dafür bei Gottfried Locher bedankt», sagt Doris Wagner.
Frauen fühlen sich ausgeschlossen
Mit dem Papst will Gottfried Locher zum Zwingli-Jahr 2019 ein ökumenisches Gespräch führen. Er hofft, mit Vertretern aus den Gremien eine Audienz im Vatikan zu erhalten. Auch mit den Frauen aus der Abgeordnetenversammlung möchte Locher den Dialog intensivieren.
Allerdings verläuft die Annäherung holprig. Erst sollte das Gespräch in kleinem Rahmen stattfinden – mit einer handverlesenen Auswahl der Kritikerinnen. Das empörte viele Frauen, sodass sie zum Boykott aufriefen.
«Uns wurde gesagt, Locher sei mit einer Runde von vielen Frauen überfordert», meint die Abgeordnete Doris Wagner. «Das verstehe ich nicht. Ich könnte mit 20 Männern sehr wohl reden.» Die Rebellinnen setzten sich durch, das Versöhnungsgespräch findet nun im September in grosser Runde statt.
Theologin tritt aus der Kirche aus
Für manche von Lochers Kritikerinnen kommt dieser Termin aber zu spät. Die Theologin Ina Praetorius war von Lochers Wiederwahl entsetzt und ist aus der Kirche ausgetreten – aus verschiedenen Gründen: Die Kirche frustriere sie schon seit Jahrzehnten. Die Wiederwahl von Gottfried Locher hätte nun das Fass zum Überlaufen gebracht.
Die Stimmung war also schon besser beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund. «Wir waren noch nie so zerstritten wie jetzt», sagt Doris Wagner. «Dabei hat Gottfried Locher vor acht Jahren gesagt, er wolle die Kantonalkirchen einen.»
Gelassener sieht es die Synodalratspräsidentin von Luzern, Ursula Stämmer-Horst: «Ich war jahrelang bei der SP. Dagegen ist das hier beim Kirchenbund harmlos.»
Lochers Möglichkeit zu glänzen
Nach der Sommerpause dürften für Gottfried Locher bessere Zeiten anstehen. Dann kann er auf internationalem Parkett glänzen: als Gastgeber der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, die im September ihre Vollversammlung in Basel durchführen wird. Lochers Kritiker hoffen, dass der Ratspräsident auch dann aufs Hugenotten-Kreuz verzichtet.
Für eine Stellungnahme stand Gottfried Locher nach der Wahl nicht zur Verfügung.