Nicht nur Herausforderin Rita Famos war nervös. Auch Gottfried Locher war angespannt – selbst nach der Wahl. Auf eine kritische Frage von SRF, wie er die vielen Gegenstimme interpretiere, reagierte Locher genervt und brach das Interview ab. «Die Chemie stimmt nicht», sagte er.
Klare Mehrheit für Locher
Laut den engagierten Wortbeiträgen stimmt die Chemie schon lange nicht mehr bei den Schweizer Reformierten. Zwar bestätigten die Abgeordneten in Schaffhausen Gottfried Locher für eine dritte Amtszeit. Auch fiel die Wahl mit 43 Stimmen für Locher und 24 Stimmen für Famos klar zugunsten des Amtsinhabers aus – immerhin mit 19 Stimmen Vorsprung.
Bedenkt man aber, dass Kampfkandidaturen beim Kirchenbund unüblich sind, gibt das Resultat zu denken. Rita Famos schaffte mit 36 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg, Locher verpasste mit 64 Prozent eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Abgeordneten verweigerten Locher eine Krönungsmesse und verpassten ihm stattdessen einen Denkzettel.
St. Gallen: Kandidatur von Famos «nicht normal»
Vor der Wahl standen Locher-Fans und Locher-Kritiker reihenweise auf und ergriffen das Wort. Allerdings tauschten sie keine neuen Argumente aus, sondern wärmten alte Vorwürfe auf.
Zu den Locher-Unterstützern zählt Martin Schmidt von der Reformierten Kantonalkirche St. Gallen. Schmidt sagte, Rita Famos' Kandidatur sei «legal, aber nicht normal». Und er kritisierte, früher hätten die Reformierten die Katholiken in die Pfanne gehauen – heute würden es die Reformierten untereinander machen.
Zürich: Locher für Kosten-Explosion verantwortlich
Sein Kollege Michel Müller hielt dagegen: Er warf Locher vor, sich einer Diskussion zu verweigern und sich stattdessen mit PR-Beratern zu umgeben. Locher habe vor Zürcher Reformierten keine Fragen zugelassen, kritisierte Müller.
Auch machte der Zürcher Kirchenpräsident Gottfried Locher für Fehlentscheidungen verantwortlich – etwa für die Explosion der Kosten fürs Reformationsjubiläum. Dieses habe statt 2,2 Millionen am Ende fünf Millionen Franken gekostet. Auch Frauen standen auf und äusserten sich wahlweise pro oder contra Gottfried Locher.
Famos: Locher soll besser hinhören
Bevor der wiedergewählte Präsident Gottfried Locher das Interview abbrach, sagte er SRF: «Ich sehe nicht viele Gegenstimmen. Wenn es einen zweiten Wahlgang gegeben hätte, dann ja.» Alles andere sei in einer Demokratie normal.
Rita Famos hofft, mit ihrer Gegenkandidatur einen neuen Stil in der reformierten Kirche zu etablieren. «Ich wünsche mir, dass Gottfried Locher besser hinhört», sagte sie nach der Wahl. Lochers Reaktion auf kritische Rückfragen lässt darauf schliessen, dass er das Wahlergebnis erst einmal verdauen muss.
Sendebezug: SRF4 News 18.00 Uhr