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Extremsportlerin Anja Blacha «Willenskraft lässt sich trainieren wie ein Muskel»

Die deutsche Extremsportlerin Anja Blacha hat die höchsten Berge der Welt bestiegen und ist 58 Tage lang ganz allein durch die Antarktis gelaufen, bis zum Südpol. Ein Gespräch über Grenzerfahrungen, Willenskraft und stoische Ruhe.

Anja Blacha

Extremsportlerin

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Anja Blacha ist 1990 in Bielefeld geboren und lebt seit knapp zehn Jahren in der Schweiz. Sie hat Wirtschaft und Philosophie studiert und als Managerin bei Swisscom gearbeitet. Angefangen mit dem Bergsteigen hat sie erst mit 23 Jahren. Seither hat sie den Mount Everest bestiegen, den K2 und die Seven Summits. Im November 2019 marschierte sie in 58 Tagen mit Skiern und einem 100 kg schweren Schlitten durch die Antarktis zum Südpol, ganz allein und ohne Unterstützung, als erste Frau überhaupt.

SRF: Wie fühlt es sich an, bei Schneesturm und minus 40 Grad, nachts im Zelt ganz allein, mitten in der Antarktis?

Anja Blacha: Das waren unglaublich harte Stunden und Tage. Ich hatte Angst und auch Selbstmitleid. Dann aber sagte ich mir: Ich wollte diese Expedition ja machen! Und ich wusste, es kann hart werden. Ich musste also einen Perspektivwechsel im Kopf vollziehen und mir sagen: Jetzt habe ich die Möglichkeit, meine eigene kleine Heldengeschichte zu schreiben und mich der Herausforderung zu stellen.

Wie bleibt man in solchen Momenten ruhig und fokussiert?

Man darf nicht panisch werden, sondern muss den Fokus behalten und ruhig bleiben, indem man zu sich sagt: Ich kann das. Ich habe lange geübt und trainiert. Es kommen wieder bessere Tage.

Meine Expeditionen sind keine Selbstfindungstrips.

Können Sie Ihre Emotionen so gut kontrollieren – die Angst, die Verzweiflung, das Selbstmitleid?

Wenn negative Emotionen hochkommen, sage ich mir: Das bringt mich jetzt nicht weiter. Meine Expeditionen sind keine Selbstfindungstrips. Ich darf den Fokus nicht verlieren und nicht an meine Grenzen kommen. Ich brauche immer Reserven.

Warum tun Sie sich das immer wieder an? Was suchen Sie da draussen?

Ich kann in der wilden Natur eine unglaubliche Präsenz erleben, die Konzentration auf den Moment. Zudem kann ich mich weiterentwickeln und über mich hinauswachsen. Und es gibt diese zauberhaften Momente draussen in der Natur, trotz Kälte und Sauerstoffmangel.

Woher haben Sie den Mut und die Willenskraft, sich diese unmenschlichen Ziele zu setzen und sie zu verfolgen?

Willenskraft lässt sich trainieren wie ein Muskel. Durch kleine Überwindungen im Alltag. Lästige Dinge wie eine kalte Dusche am Morgen oder dann, wenn ich mal länger aufs Essen warten muss. Die entsprechende Gehirnregion zeigt eine hohe Neuroplastizität.

Werde zu deinem eigenen Vorbild.

Sie wollen mit ihren Expeditionen auch ein Vorbild sein, insbesondere für junge Frauen. Inwiefern?

Ich möchte allen sagen, die sich von Stereotypen zurückgehalten fühlen: Traut euch! Glaubt nicht, dass ihr eingeschränkt seid in euren Fähigkeiten. Verhalte dich so, wie es dein Vorbild tun würde, das es noch gar nicht gibt. Oder besser: Werde zu deinem eigenen Vorbild!

Auf Ihren Bergexpeditionen mussten Sie schwierige moralische Entscheidungen treffen. Etwa 2023 auf dem Nanga Parbat, wo sie zwei höhenkranke Bergsteiger in der Todeszone zurücklassen mussten, um sich selbst zu retten.

Das war unglaublich schwierig. Ich hatte mehrere Rettungsrufe getätigt und den Betroffenen geholfen, soweit ich konnte. Doch irgendwann kam ich an den Punkt, wo ich wusste: Wenn ich jetzt nicht weitergehe, dann werde ich hier nicht lebend herunterkommen. Ich musste also allein weitergehen. Der eine Bergsteiger ist danach gestorben.

Man weiss erst dann, dass man wirklich zu weit gegangen ist mit Helfen, wenn man selbst stirbt.

Wie lebt man mit so einer Entscheidung?

Ich habe hinterher viele Gespräche geführt, auch mit mir selbst. Für mich ist wichtig: Ich muss mein Verhalten gegenüber den Familienangehören rechtfertigen können. Aber das Schwierigste ist: Man weiss erst dann, dass man wirklich zu weit gegangen ist mit Helfen, wenn man selbst stirbt. Eine letzte Ungewissheit bleibt also.

Dieses Gespräch ist ein gekürzter Auszug aus der Sendung «Sternstunde Philosophie» vom 16.02.2025. Das Gespräch führte Yves Bossart.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 16.2.2025, 11:00 Uhr ; 

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