Irgendwann um das Jahr 1870 liess sich die Witwe des US-amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln fotografieren. Mary Todd Lincoln ging dafür nicht zu irgendeinem Fotografen, sondern zu William H. Mumler. Sie wollte auf dem Bild nämlich nicht nur sich selbst, sondern auch ihren verstorbenen Ehemann sehen.
Für diesen Wunsch war Mumler genau der Richtige. Er verlangte mit bis zu 10 Dollar pro Bild zwar gesalzene Preise (umgerechnet über 100 Franken), dafür lieferte er «Spirit Photography»: Auf seinen Fotos waren angeblich nicht nur die Lebenden zu sehen, sondern auch die Geister der Toten.
Mary Todd Lincoln war Spiritistin und glaubte, dass die Toten nicht einfach «weg» waren, sondern unsichtbar neben den Lebenden weiterexistierten. Die Geisterfotografie eines Mumlers konnte diesen Glauben beweisen. Das schätzten neben der Lincoln-Witwe auch zahlreiche andere spiritistische Kunden, die im Sezessionskrieg (1861-1865) Angehörige verloren hatten und auf der Suche nach Trost waren.
Fotografische Taschenspielertricks
Tatsächlich perfektionierte Mumler im Geschäft mit den spiritistischen Kunden ein Betrugsmodell: Mittels Doppelbelichtungen zauberte er die Geister mit aufs Bild.
Die Voraussetzung dafür, dass sein Betrug funktionierte, war der Glaube an die Wahrheit von Fotografien. Und damit die Überzeugung: Was fotografiert werden kann, ist real.
Das Medium berge bis heute ein Wirklichkeitsversprechen, sagt der Literatur- und Medienwissenschaftler Bernd Stiegler von der Universität Konstanz: «Fotografie war seit jeher ein Medium, das das Reale in Bilder bringt und dem wir vertrauen. Wenn wir heute ein Fotoalbum mit Bildern unserer Kindheit oder Einschulung anschauen, sind wir natürlich überzeugt davon, dass es sich so zugetragen hat.»
Das Wirklichkeitsversprechen der Fotografie gilt auch noch im Zeitalter der Mobiltelefone. Obwohl heute zum Allgemeinwissen gehört, wie leicht Fotos gefälscht und manipuliert werden können. Auch darum sind die Geisterfotos aus dem 19. Jahrhundert mehr als eine amüsante Episode aus der Vergangenheit. Sie zeigen, wie sehr Menschen Fotos vertrauten und noch heute vertrauen.
William H. Mumler, der als allererster mit Geisterfotos Kunden betrog, musste sich ab 1869 in einem aufsehenerregenden Prozess in New York vor Gericht verantworten, wurde aber freigesprochen. Sein Geschäftsmodell fand Nachahmer in Europa, etwa mit Frederick Hudson in Grossbritannien oder Édouard Isidore Buguet in Paris.
Buguets Studio am Boulevard Montmartre lief bestens, bis auch er vor Gericht gestellt und 1875 verurteilt wurde. Sein Geständnis enthüllte den Umfang des Betrugs und dessen planvolle Umsetzung: Buguet stützte sich auf Assistenten und ein ganzes Arsenal an Puppen, je nach gewünschter Art der Geister.
Auch nach seiner Verurteilung blieb Buguet übrigens Geisterfotograf, wechselte allerdings die Seiten: Er lieferte keine Foto-Beweise für die Weltanschauung des Spiritismus mehr, sondern parodierte das Genre mit unterhaltsamen Inszenierungen, etwa von sich selbst als gespiegeltem Skelett.
Fotos können verschiedene Dinge. Sie können dokumentarisch als Beweise der Wirklichkeit dienen. Oder sie können als fiktionales Tool die Wirklichkeit zur Unterhaltung zuspitzen, so sehr, dass alle wissen, dass das Gezeigte nicht real ist. Wie spielerisch Betrachterinnen und Betrachter bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit diesen unterschiedlichen Bild-Kontexten umgingen, zeigt ein weiterer Schlenker in der abenteuerlichen Geschichte der Geisterfotos.
Gruseliger Budenzauber
Bevor sie als angebliche Beweise für die Existenz von Geistern genutzt wurden, dienten sie nämlich als Fakes der reinen Unterhaltung. Die allerersten Geisterfotos, die ab 1856 in London produziert wurden, sind stereometrische Aufnahmen: offensichtliche Inszenierungen, Tingeltangel. Es handelt sich um 3D-Fotos mit Geistern und erschreckten Menschen, die zur Unterhaltung des Publikums produziert wurden.
Das Realitätsversprechen der Fotografie wurde also von Anfang an parodiert. Und bereits Mitte des 19. Jahrhunderts war klar, dass die Behauptung, Geister zu fotografieren, Humbug war. Trotzdem haben trauernde Angehörige den Geisterfotos, die wenig später entstanden, geglaubt. Weil ein anderer Kontext dominant wurde und sie Trost brauchten.
Die Geisterfotos beweisen, dass Fotografen die Bedürfnisse des Publikums bereits in den Pionierzeiten des Mediums geschickt ausnutzten. Ausserdem zeigen sie, dass das Publikum zwei widersprüchliche Dinge gleichzeitig kann: «Bei den Geisterfotos haben wir es mit einem Publikum zu tun, das an diese Bilder glauben will. Obwohl es durchaus wissen konnte, dass es hinters Licht geführt wurde», erklärt Literatur- und Medienwissenschaftler Bernd Stiegler.
Diese doppelte Bewegung ist für die Geisterfotografie konstitutiv. Und nicht nur für sie. Sie prägt die Fotografie bis heute.