Der Ukraine-Krieg gilt als erster, der vehement auch auf Social Media ausgefochten wird. Das bedeutet: Wir werden von Bildern überflutet.
Via Instagram und TikTok ist der Krieg in Echtzeit zu verfolgen. Allerdings sind diese Bilder nicht unabhängig überprüft. Ob das, was zu sehen ist, auch stimmt, ist oft nicht zu klären. Dasselbe gilt für Propaganda-Bilder der Kriegsparteien.
Der Kontext ist entscheidend
Auch dokumentarische Bilder, die als objektiv gelten, müssen «gelesen» werden. Sie sind nicht so eindeutig, wie sie scheinen. Ein- und dasselbe Bild kann unterschiedlich interpretiert werden.
Exemplarisch zeigen das die allerersten Bilder des Ukraine-Kriegs: Die Luftbilder einer langen Kette russischer Panzer, die auf Kiew zurollten.
Bald allerdings belegten fast identische Satelliten-Aufnahmen, mit Zusatzinformationen über die Geschwindigkeit der Truppenbewegungen, dass der russische Einmarsch ins Stocken geraten war.
Beinahe identische Bilder dokumentieren unterschiedliche Sachverhalte: Erst, dass Kiew und die Ukraine bald in russischer Hand sind – dann, dass der russische Angriff von militärischer Fehlplanung geprägt ist.
Um Bilder verstehen zu können, sind die Umstände zentral. Wie Medienkompetenz solle darum auch der Umgang mit Fotos in der Schule unterrichtet werden, sagt die Historikerin Annette Vowinckel vom Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam. Gerade weil Fotos intuitiv verständlich sind.
Viele professionelle Fotografinnen und Reporter berichteten ab Ende Februar über die Auswirkungen des Krieges und die vielen Menschen auf der Flucht. Ihre Bilder lösten im Westen Empathie aus. «Man identifiziert sich intuitiv mit den Menschen auf den Bildern, die überwiegend unbeteiligte Zivilisten sind», so Annette Vowinckel.
Diese Bilder sind wahr, sie sind keine propagandistischen Fälschungen. Sie halten alle professionellen Standards ein und verzerren die Wirklichkeit nicht. Aber sie sind nicht neutral. Sie ergreifen Partei.
Helden aus Mariupol?
Noch weiter ging Dmytro Kozatskyi mit seinen Fotos aus dem umkämpften Stahlwerk Asowstal, die er erst auf Twitter veröffentlichte. «Diese Bilder fallen durch ihre Qualität auf, das sind keine herkömmlichen Handyfotos», so die Historikerin Annette Vowinckel. Kommt dazu: Die Bildsprache ist eindeutig, diese Fotos sollen Helden zeigen.
Kompliziert wird es allerdings, wenn berücksichtigt wird, welche Soldaten hier porträtiert werden. Es handelt sich um ehemalige Mitglieder des Asow-Regiments. Umstritten ist, ob einzelne als rechtsextrem oder faschistisch zu gelten haben.
Zweifel unerwünscht?
Der Verdacht lässt sich nicht endgültig beweisen, wurde teils als überholt bezeichnet oder als russische Propaganda. Weil wir unsere Helden aber gerne gut haben, fehlte bei der Weiterveröffentlichung von Kozatskyis Fotos oft der Hinweis auf diese Unsicherheit.
Und was wäre, wenn diese Fotos keine ukrainischen, sondern russische Soldaten zeigen würden? Dann würden aus Helden Invasoren und aus den Bildern der Helden platte Propaganda. Ohne dass sich an den Bildern selbst irgendetwas ändern müsste.
Die Macht der Bilder
Fotos können viele Dinge. Sie dokumentieren die Wirklichkeit und erzählen Geschichten. Sie ergreifen Partei und unterminieren Zweifel. Und sie sind – einmal veröffentlicht – unkontrollierbar. Das zeigen die Fotos, die westliche Staatsoberhäupter auf Stippvisite bei Putin ablichteten.
Der Kontext dieser Fotos waren Sicherheitsmassnahmen gegen die Pandemie. Gelesen aber wurden sie im Westen als Hinweis auf Putins übersteigertes Misstrauen und seine krankhafte Angst, gestürzt zu werden.
«Es gab zur selben Zeit durchaus Fotos von Putin mit Menschen an normalen Tischen, bloss wurden die in westlichen Medien nicht gedruckt», sagt Annette Vowinckel. Die Historikerin warnt davor, diese Bilder zu ernst zu nehmen. Man müsse vielmehr die Gründe analysieren, wieso sie so oft publiziert wurden. Sie zeigen schlicht, was viele gerne sehen.
Und so bleibt nur eins: der Anziehung von Bildern nachgeben und sich vor ihr schützen. Denn: Bilder sind elementar, um die Welt zu verstehen. Aber mit Ansehen allein ist es nicht getan.