Täglich erreichen uns Meldungen aus dem Kriegsgebiet der Ukraine: Bilder, Videos, zum Teil mit Absender, zum Teil ohne. Der jüngste Fall betrifft das zerstörte Theater der Hafenstadt Mariupol, wo eine unbekannte Anzahl Menschen Schutz gesucht haben soll, wobei Russland einen Bombenabwurf bestreitet. Stefanie Strahm gehört zum Kollektiv von Mitarbeitenden, die bei SRF solche Videos und Fotos prüfen.
SRF News: Wie gehen Sie vor beim Faktencheck? Können Sie herausfinden, wer geschossen hat?
Stefanie Strahm: Wer geschossen hat, ist tatsächlich nicht zu eruieren, weil es weder Fotos noch Videos des Angriffs gibt. Wir können nur überprüfen, ob es sich beim zerstörten Gebäude um das Theater in Mariupol handelt. Das ist der Fall. Zur Überprüfung konsultierte ich namhafte Nachrichtenagenturen, die das Material ebenfalls publiziert haben und Fotos auch immer selber gegenchecken. Zugleich arbeitete ich mit Street View auf Google Maps. So ist auf mehreren Fotos des Theaters ein auffällig gestalteter weisser Zaun zu sehen, der mit den älteren Bildern auf Google Maps übereinstimmt. Auch die Fenster und die noch bestehenden Bäume passen. Diese Art der Überprüfung nennt sich Geolokalisierung.
Im Netz gibt es auch Videos, die die Lage im zerbombten Theater zeigen sollen, Dunkelheit, Staub, das könnte irgendwo aufgenommen sein...?
Das ist richtig. Allerdings gibt es von dieser Situation mehrere Videos aus verschiedenen Perspektiven, die von verschiedenen Usern hochgeladen wurden. Das ist für die Überprüfung ein entscheidender Hinweis. Wir schauen uns zugleich genau an, wer diese Fotos oder Videos in die sozialen Medien gestellt hat: Wie schauen ihre Profile aus und seit wann gibt es sie? Welche Follower und Followerinnen haben sie und posten sie regelmässig aus der gleichen Gegend? Wenn sich daraus ein plausibles Gesamtbild ergibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Videos tatsächlich das zeigen, was angegeben ist.
Bei welchen Quellen verlassen Sie sich darauf, dass das Abgebildete den Angaben entspricht?
Es sind Fotos und Videos, die von Agenturen wie Reuters, AP oder EVN stammen. Diese Agenturen sind verlässliche Partner, die das Material vor der Veröffentlichung mit eigenen Faktenchecks überprüfen.
Im Krieg arbeiten Geheimdienste mit. Wie weit lassen sich solche Fälschungen schnell aufdecken, da das auch politische Entscheidungsträger beeinflussen kann?
Hier muss man unterscheiden. Es gibt die genannten «Deepfakes», aufwendig gemachte, unechte Videos. Sie lassen beispielsweise den ukrainischen Präsidentin Wolodimir Selenski etwas sagen, dass er gar nicht sagen würde. Solche Deepfake-Videos sind zum Glück recht selten, da sie in der Produktion ziemlich teuer sind und die Tools entsprechend viel kosten.
Die allermeisten Fakes, denen wir im Alltag beim Netzwerk-Faktencheck von SRF begegnen, zeigen Videos und Fotos, die an sich zwar echt sind, aber in einem falschen Zusammenhang gezeigt werden. So sollte ein Foto angeblich ukrainische Flüchtlinge aus Kiew vom 16. März 2022 zeigen, doch es waren tschetschenische Flüchtlinge im Jahr 2000. Solche Fakes können durch «Reverse Image Search», also eine Rückwärts-Bildersuche, sehr schnell identifiziert werden.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.