Das Film- und Kunstfestival «Porny Days» findet seit 2012 jährlich in Zürich statt. Pornos schauen, zusammen mit 50 anderen Leuten, im Kinosaal? Klar, sagen Talaya Schmid und Emanuel Signer.
Sie organisieren die «Porny Days». Der Name ist Programm. Es geht um Sexualität und Körperlichkeit. Wie hat sich das Festival in seiner elfjährigen Laufzeit verändert? Und wo stehen wir als Gesellschaft in Sachen Porno?
SRF: Pornos mit anderen Menschen im Kino schauen. Wie kamen Sie auf die Idee?
Emanuel Signer: In der Regel werden Pornos allein geschaut – andere Filme hingegen mit Freundinnen und Freunden oder im Kino. Ich fand es spannend, das zu ändern. Mag sein, dass es sich zuerst beklemmend anhört. Aber es ist befreiend. Mittels Filmen und Inputs von anderen lässt es sich einfacher über seine eigene Sexualität sprechen.
Talaya Schmid: Lust hat wenig Platz im Alltag. Für mich eröffnen die «Porny Days» einen Raum, wo sie im Vordergrund stehen kann.
Wie haben die Leute reagiert, als Sie vor elf Jahren gesagt habt: «Hey, wir machen ein Pornofestival»?
Schmid: Ganz verschieden – von verblüfft bis begeistert. Einige trauten sich anfangs nicht, ans Festival zu kommen und damit assoziiert zu werden. «Was, wenn ich dort meine Arbeitskollegen sehe?!», so die Reaktion. Ich entgegnete: «Das ist super. Dann wisst ihr ums gemeinsame Interesse an Pornografie.» Aber es war schwer, Sponsorinnen zu finden. Heutzutage muss ich viel weniger erklären. Die meisten Leute verstehen, dass an den «Porny Days» künstlerische Beiträge zu diesem Thema zu sehen sind. Einige sind also viel aufgeklärter als zu Beginn des Festivals vor elf Jahren. Andererseits ist eine neue Prüderie zu spüren und es wird viel mehr polemisiert.
Porno ist zwar etwas derart Intimes – aber eben auch politisch.
Was hat sich seit dem Start 2012 gewandelt?
Signer: Der Diskurs rund um die «Porny Days» hat sich verändert. Porno ist zwar etwas derart Intimes – aber eben auch politisch. Deshalb spricht es viele Menschen an, auch auf einer emotionalen Ebene.
Schmid: Themen wie sexuelle Orientierung, Geschlecht und feministische Pornos werden anders verhandelt. Die Diskussionen können vielschichtiger geführt werden, da mehr Bewusstsein da ist – wenn auch heutzutage teils in sehr zugespitztem Ton.
Deswegen wurde das Festival über die Jahre von einem auf fünf Tage verlängert?
Signer: Das Interesse an den «Porny Days» ist grösser geworden. Jedes Jahr werden mehr Filme bei uns eingereicht. Viele, die uns ihre Filme schicken, vermissen Bilder von sich in «Mainstream Pornos». Sie und wir haben ein Bedürfnis, das zu ändern.
Schmid: Anfangs haben wir nur Filme gezeigt. Jetzt sind es Performances, Podiumsdiskussionen, Lesungen und Workshops. Aber es ist anspruchsvoller geworden, den Spagat beim Publikum zu schaffen. Wir wollen niederschwellige Angebote für Neu-Interessierte bieten, aber auch Leute ansprechen, die sich schon jahrelang mit den Themen befassen.
Wie wählen Sie Filme aus: Gibt’s gute und schlechte Pornografie?
Schmid: Wir probieren, nicht das Label «ethisch korrekte Pornos» zu verwenden. Das hört sich zu fest nach Wertung und erhobenem Zeigefinger an. Aber klar, sich ethische Fragen in Bezug auf Pornografie zu stellen, ist wichtig. Grundlegend sind die Arbeitsbedingungen. Das heisst: Wurde fair produziert? Und die Frage nach Stigmatisierung: Wie gut sind die Menschen, die in Pornos wirken, in unserer Gesellschaft integriert? Eine Pornodarstellerin sollte auch andere Jobs ausüben können.
Signer: Dazu kommen inhaltliche Fragen wie: Wird im Film Einverständnis verhandelt, Safer Sex gezeigt? Werden Grenzen kommuniziert? Wie divers sind die Produktionen insgesamt? Es ist anspruchsvoll, das alles mitzudenken. Deshalb sind wir darauf angewiesen, den Menschen, die bei uns ihre Filme einreichen, zu vertrauen.
Welche Rückmeldungen kriegen Sie?
Signer: Von anderen Festivals kenne ich das viel weniger, aber an den «Porny Days» beteiligen sich die Leute sehr aktiv. Unsere Inhalte lösen etwas in den Menschen aus und sie haben das Bedürfnis, darüber zu sprechen.
Schmid: Für mich sind auch das Engagement des Publikums und die aktiven Diskussionen die grösste Motivation, jedes Jahr am Festival mitzuwirken.
Viele Menschen schämen sich nach wie vor dafür, dass sie pornografische Inhalte konsumieren, aber das müssen sie nicht.
Heisst das, wir können heute als Gesellschaft ungezwungen über Pornografie reden?
Signer: Obwohl wir aufgeklärter sind, gibt es immer noch viel Stigmatisierung – vor allem beim Thema Sexarbeit und den darin tätigen Menschen gegenüber. Sie gehen einer sehr vielfältigen Arbeit nach. Viele Menschen schämen sich nach wie vor dafür, dass sie pornografische Inhalte konsumieren, aber das müssen sie nicht. Wir tragen diverse sexuelle Fantasien in uns. Es gilt, einen aktiven Umgang mit ihnen zu finden.
Wie sähe der aus?
Schmid: Wir sollten Pornos als Teil unserer Kultur verstehen, denn wir produzieren sie. Natürlich sind nicht alle Bilder für alle Menschen geeignet. Aber es ist eine Verblendung zu denken, man könne Menschen davor «schützen». Die Bilder existieren.
Es gilt, Kinder und Eltern zu schulen – am besten von Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen.
Konsumentinnen und insbesondere Eltern dürfen aber nicht allein gelassen werden. Wir können nicht Pornografie etwa auf grosse Streaming-Plattformen wie Netflix stellen und sonst nichts machen. Es gilt, Kinder und Eltern zu schulen – am besten von Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen.
Haben Sie selbst noch Schamgefühle, wenn es um Pornos geht?
Schmid: Das kommt stark auf den Kontext an. Wenn ich etwa mit Menschen zusammen bin, denen das Thema unangenehm ist, fühle ich mich unwohl. Schämen tue ich mich für meine Arbeit bei den «Porny Days» aber nicht. Manchmal kommen in unerwarteten Momenten Schamgefühle auf und ich versuche, das Gefühl anzunehmen.
Signer: Die sexpositive Bewegung kann auch zu einer spezifischen Form von Scham führen. Nämlich, wenn die Leute denken, sie müssen möglichst «kinky» sein, um maximal befreit zu sein. Aber es ist der falsche Zugang, zu denken, man müsse bestimmte sexuelle Praktiken mögen. Fantasien sind individuell.
Das Gespräch führte Mara Schwab.