Es gab einmal einen Film, indem vier Menschen mitspielten. Sie hiessen Bishop Black, Lina Bembe, Noir So und Holy Mother. Regie im Film führte Paulita Pappel. Finanziert wurde er durch das «ZDF Magazin Royale». Der Film hiess: «FFMM straight/queer doggy BJ ORAL squirting orgasm ROYALE».
Was sich für Produzentin Pappel anfangs wie ein Märchen anhörte, war tatsächlich der erste öffentlich-rechtlich finanzierte Porno. Oder wie Moderator Jan Böhmermann sagte: «Wir haben einen ethisch korrekten, queer-feministischen Hochglanzporno produziert.»
Der gebührenfinanzierte Porno durfte aber nicht im ZDF laufen oder in der Mediathek aufgerufen werden. Wieso? Weil er als Porno indiziert wurde und keine Altersfreigabe bekam.
Weg mit der Scham
Sind Pornos immer noch ein Tabu? Papperlapapp, sagt sich Paulita Pappel. «Ich will Pornografie zurück in die Mitte der Gesellschaft bringen», so die Autorin des Buches «Pornopositiv».
Darin vertritt sie den Ansatz: Wir als Gesellschaft sollten einen entspannteren Umgang mit unserer Sexualität pflegen, die Scham vor Pornografie ablegen. Pornos können unsere Sexualität revolutionieren und bereichern.
Erster Pornodreh mit 22
Für sie selbst war ihr erster Pornodreh etwas enorm Befreiendes. Es sei «das echte erste Mal» gewesen. Ein «Wendepunkt» in ihrer Sexualität, schreibt sie im Buch.
Pappel wird 1987 im, wie sie es beschreibt, religiös-konservativen Spanien geboren. Direkt nach der Schule zieht sie nach Berlin. Der Ort, der «wie ein Magnet auf Menschen wirkt, die nicht heteronormativ leben können oder wollen».
Mit 22 Jahren dreht sie ihren ersten Porno, ist begeistert, obwohl sie selber früher keine Pornos konsumierte. Heute ist Pappel Pornoproduzentin und Regisseurin, betreibt zwei Pornoplattformen, ist nach ihrer Ausbildung bei Netflix als Intimitätskoordinatorin tätig und wirkt vereinzelt noch als Pornodarstellerin in Filmen mit.
Sie bezeichnet sich als Feministin, schreibt in ihrem Buch ausführlich darüber, wie Pornos als Werkzeug einer feministischen Praxis dienen können.
Pornos spalten Feministinnen
Vor allem älteren Feministinnen mögen die Parolen von Pappel sauer aufstossen. Ab den 1970er-Jahren schliessen sich – hauptsächlich in den USA, später auch in Europa – Feministinnen zu Anti-Porno-Gruppen zusammen. Ihr Standpunkt: Pornos seien gewaltsam, verstörend, erniedrigend und würden Frauen nur als williges Objekt darstellen. Pornografie hänge immer auch mit Ausbeutung zusammen.
Deutschlands bekannteste Feministin, Alice Schwarzer, führte Ende der 1980er-Jahre in Deutschland die «PorNo»-Kampagne an. Sie forderte ein Anti-Porno-Gesetz in Deutschland. Ohne Erfolg.
Schwarzer betonte stets, dass es bei Pornografie nicht um Erotik gehe, sondern um die «Verknüpfung sexueller Lust mit männlicher Lust an Erniedrigung und Gewalt». Wie freiwillig könne Sexarbeit in einem patriarchalen, ausbeuterischen System sein?
Einvernehmen ist alles
Gegen dieses Narrativ der Ausbeutung und Unterdrückung wehrt sich Pappel. Frauen seien nicht immer potenzielle Opfer männlicher Sexualität. Sie können sich – wie Pappel – freiwillig dazu entscheiden, Pornos zu drehen und zu konsumieren. «Dass man einer Frau nicht zumutet, dass sie ein selbstbestimmtes sexuelles Subjekt ist, ist zutiefst traurig und tragisch», so die Spanierin.
Pappel und andere Aktivistinnen lassen sich zur «sexpositiven» Bewegung zuordnen. Sie sehen kein Problem mit Pornografie, solange die Zustimmung aller Beteiligten vorhanden ist.
Sex nicht mit sexualisierter Gewalt vermischen
Für Pappel ist klar: «Kein Sexakt an sich ist gewaltvoll, ein Mangel an Einvernehmen ist es.» Deshalb plädiert sie für eine Definition von Pornografie, die Einvernehmen voraussetzt.
Kinderpornografie und sogenannte «Rache-Pornos» seien keine Pornografie, sondern Straftaten. Als Gesellschaft müssen wir lernen, das zu unterscheiden. Zu oft würden die Grenzen zwischen Kriminalität und Pornografie verwischt.
Gratis-Pornos im Netz
Das heutzutage gängige Bild von Pornos ist geprägt von Plattformen, die in den 2010er-Jahren entstanden sind. Beispiel Youporn, Pornhub, Xvideos – sognannte Free Tubes. User können ohne Kontrolle Videos hochladen, die für alle gratis zugänglich sind.
Es ist keineswegs so, dass auf Pornhub und Co. hauptsächlich illegaler Content zu sehen wäre. Aber – wie auch bei anderen Social-Media-Plattformen – gab es zu wenig Moderation der Inhalte.
So entstand das Image, Pornos sähen immer gleich aus und bilden meist «abnormale» Sexpraktiken ab. Die Pornoindustrie als Sündenbock? So tönt es auch bei der britischen Soziologieprofessorin Gail Dines, einer berühmte Vertreterin der Anti-Porno-Feministinnen.
Sie kritisiert die Kommerzialisierung der Lust. Sie sagt: «Porno ist für Sex, was McDonalds für Essen ist. Es ist nichts Falsches am Essen, es ist ein normales, menschliches Erlebnis. Aber an der Fast-Food-Industrie ist vieles falsch.»
«Feministische» Pornos
Daran stört sich Pappel. «Es wird zu wenig differenziert auf die Industrie geschaut.» Die Porno-Industrie sei nicht unethischer als andere Branchen auch. Ausbeuterische Strukturen gäbe es in vielen Industrien. Man denke an Hollywood oder die Modeindustrie.
Wenn sie Pornos produziert, fragt Pappel die Darstellenden im Vorfeld nach deren Fantasien. Danach wird das Set ausgerichtet. So dreht sie an einem Tag im Waschsalon und an einem anderen in einer Zombie-Apokalypse. Es kann Tantra-Kuschel-Sex, aber auch BDSM sein. Verbindliche Absprachen und Kommunikation über Grenzen sind die Regel.
Sie dreht Pornos, bei denen die Lust aller Beteiligten in den Fokus gerückt wird; Pornos, die Menschen mit unterschiedlichsten Körperformen zeigen. Einige nennen sie «feministische» oder «ethische Pornos» – als Gegentrend zu sogenannten «Mainstream»-Pornos.
Pappel rät davon ab. Sie will Pornos von allen Zuschreibungen lösen. Nur weil etwas nach «Mainstream» aussehe, heisse es nicht, dass die Produktionsbedingungen nicht ideal waren.
Grossteil Amateurporno
Fakt ist, dass sich die Industrie in den letzten Jahren komplett verändert hat. Viele Menschen denken an Studioproduktionen, wenn über Pornografie diskutiert wird. Aber heutzutage drehen sich die meisten selber, erläutert Pappel.
Die aktuell bekannteste Plattform ist OnlyFans, wo Darstellerinnen ihre Videos verkaufen oder Abos anbieten können. Der inzwischen riesige Anteil von Amateurfilmen trage häufig dazu bei, dass diversere Körper gezeigt werden, sagt Pappel.
Nur zwei Klicks
Dass heutzutage viele pornografische Inhalte im Netz niederschwellig erreichbar sind – so auch für Jugendliche und Kinder – beschäftigt viele Eltern. Was tun?
«Es hilft, sich Wissen anzueignen und Offenheit gegenüber Themen wie Sexualität und Pornografie zu zeigen», meint Samuel Wespi. Er arbeitet als Fachperson sexuelle Gesundheit in Bildung und Beratung bei S&X sexuelle Gesundheit Zentralschweiz.
Regelmässig besucht Wespi Jugendliche aus der fünften oder sechsten Klasse und der Oberstufe und redet mit ihnen über Sexualität. Eine der am häufigsten gestellten Fragen zum Thema Pornografie: «Ab wann darf man Pornos schauen?».
Die Antwort: Es gibt kein Mindestalter, um Pornos zu konsumieren. Es ist also nicht strafbar, wenn die 15-jährige Tochter Pornos schaut. Illegal ist, wenn sie es gemeinsam mit ihrem 15-jährigen Freund tut oder den Film an ihre 15-jährige Kollegin weiterleitet.
«Viele sind erleichtert», denn es sei viel Angst da, sich strafbar zu machen. «Mit Angst kann man schlecht über solche Themen reden und sich die Kompetenzen aneignen, die man bräuchte», so Wespi.
Pappel pflichtet dem bei. Die Frage bei Jugendlichen sei nicht, ob sie Pornos konsumieren, sondern was man ihnen dazu an die Hand gibt.
Porno-Kompetenz
Wespi erklärt, was er alles mit den Jugendlichen bespricht – angepasst je nach Altersklasse: «Wir reden darüber, dass es Filme mit bezahlten Darstellenden sind, dass unrealistische Schönheitsideale Teil von Mainstream-Pornos sein können; dass es häufig um die Befriedigung männlicher Darsteller geht; dass man selten schlaffe Penisse sieht oder dass Männer fast nie stöhnen, Frauen hingegen sehr häufig.»
Die grösste Herausforderung sieht Wespi darin, dass die Jugendlichen viel Eigenverantwortung tragen. Sie dürfen die Filme ja nur alleine schauen, sollten sich selber reflektieren und merken: Tut mir der Porno gut oder nicht?
Das sei viel Druck. Deshalb ermutigt Wespi die Jugendlichen dazu: «Wenn es euch nach einem Porno nicht gut geht, redet mit einer Kollegin, den Eltern oder mit uns von der Fachstelle.»
Und was, wenn Jugendliche mehr feministische Pornos à la Pappel schauen würden? Ja, das wäre wohl informativer, nimmt Wespi an. Aber: «Diese Art von Pornografie ist häufig kostenpflichtig. Das ist eine Hürde für viele Jugendliche.» Zudem besitzen sie in dem Alter auch keine Kreditkarten.
Pornos zur Aufklärung?
Wie also könnten diversere, feministischere und pädagogisch wertvolle Pornos erschwinglicher und vermehrt in den Umlauf kommen – und so auch in die Hände der Jugendlichen gelangen? Ganz einfach, gemäss Pappel. Staatliche Förderung. Wobei wir wieder am Anfang der Geschichte sind.
So wie die Filmindustrie Fördergelder vom Bund beantragen könne, solle das die Pornoindustrie auch können, fordert Pappel.
Pornos als Unterhaltungsprodukt
Denn: Pornos seien ein Unterhaltungsprodukt – wie andere Filme auch, meint Pappel. In einer pornopositiven Gesellschaft sähe man, dass explizite sexuelle Darstellungen nicht per se problematisch sind.
Wenn wir als Gesellschaft entspannter mit Pornografie umginge, sähen wir: Pornos können unterhalten, aufklären, inspirieren, einen Dialog starten. Pappel habe durch ihre Arbeit «nackt vor der Kamera» gelernt, ihren «Körper zu lieben» und ihre Wünsche zu kommunizieren. Pornografie biete einen geschützten Raum, um die eigene Sexualität frei zu erforschen.
Raus aus der Schmuddelecke
Mit Förderung können neue Akteure integriert, den Performern fairere Bedingungen angeboten, bessere Kontrollmechanismen etabliert werden – kurzum: Das Produkt würde besser und diverser.
Pornografie wäre aus der Schmuddelecke geholt. Ende gut, alles gut in der pornopositiven Gesellschaft?
Natürlich muss man sehen, aus welcher Position Pappel das feurige Plädoyer schreibt. Sie ist selber Produzentin, verdient mit Pornos ihr Geld. Sie hat also ein eigenes Interesse, dass Pornografie finanziell unterstützt wird.
Nicht alle wollen Pornos
«Grundsätzlich ist es toll», stimmt Fachperson Samuel Wespi ein, «dass wir in der Gesellschaft offener über Sexualität reden können». Aber Wespi zeigt auch Grenzen dieses von Pappel propagierten entspannten Umgangs mit Pornografie auf. «Durch diesen offenen Umgang kann ein Druck entstehen, dass man Sexualität leben und Pornos schauen muss.»
Für ihn sei es wichtig, «auch die Menschen im Auge zu haben, die keine Lust haben, Pornos zu schauen.» Diesem Punkt stimmt auch Porno-Entrepreneurin Pappel zu. Pornopositiv zu sein, heisse nicht, dass alle Pornos schauen müssen. Aber sie will eine differenziertere öffentliche Debatte zum Thema.
Eine Welt, in der ungezwungener mit expliziten Darstellungen von Sex umgegangen wird, scheint nach dem Lesen dieses Buchs plausibel.