Martin Bodmer war 15 Jahre alt, als er das erste Stück für seine Sammlung kaufte. Heute umfasst die Bibliotheca Bodmeriana rund 150'000 Objekte. Seit 2015 gehört die einzigartige Privatbibliothek zum Weltdokumentenerbe der Unesco.
Die Familie von Martin Bodmer kam im 19. Jahrhundert in der Seidenproduktion zu Vermögen, erzählt der Direktor der Fondation Bodmer, Jacques Berchtold: «Als Martin Bodmer 1899 in Zürich geboren wurde, war er bereits Multimillionär. Er wollte mit seinem Vermögen etwas Bedeutendes erschaffen und beschloss schon früh, eine Bibliothek der Weltliteratur anzulegen, die bis zu den Ursprüngen der Schriftkultur reicht.»
Objekte mit abenteuerlichen Geschichten
Bodmer war ein besessener und umsichtiger Sammler. Es gelang ihm, so wertvolle Objekte wie altägyptische Totenbücher für die Sammlung zu erwerben.
Wer vor den rund 3000 Jahre alten Hieroglyphen steht, kann nur staunen, wie gut erhalten die Papyrusrollen bis heute sind. Durch Zufall wurden sie 1952 in Ägypten in einer verschütteten Bibliothek aus dem 4. Jahrhundert entdeckt, deren Schätze unter dem Sand konserviert wurden.
Zu vielen Prachtobjekten der Sammlung lassen sich abenteuerliche Geschichten erzählen: Die einzige Gutenberg-Bibel in der Schweiz, die in der Dauerausstellung zu bewundern ist, kaufte Bodmer dem jungen Stalin ab, der dringend Geld brauchte. Sie stammt aus dem Besitz des Zaren, der nach der Oktoberrevolution ans russische Volk ging.
Das menschliche Denken sammeln
Bodmer legte seine Bibliothek mit erstaunlichem Weitblick an. Er war von der Vision beseelt, Texte und Objekte zu finden, die zurück zu den Ursprüngen der Kulturen reichen.
Jacques Berchtold erklärt: «Martin Bodmer glaubte, dass die Verbindung mit den Wurzeln der Kulturen uns erlaubt, die Gegenwart besser zu begreifen. Er wollte, dass seine Sammlung das gesamte menschliche Denken umfasst.»
Besonders die Weltreligionen faszinierten ihn. In der Fondation finden sich frühe Schriften aus dem Koran ebenso wie religiöse Texte aus dem alten China, oder die weltweit älteste vollständige Abschrift des Evangeliums nach Johannes.
«Martin Bodmer sah die verschiedenen Religionen als Ausdruck ein- und derselben Wahrheit», sagt Jacques Berchtold.
Kultur verbessert die Zivilisation
Nach Cologny bei Genf kam die Sammlung, weil Bodmer 1947 Vize-Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuzes wurde.
In dieser Funktion setzte er sich besonders dafür ein, dass Kriegsgefangene Zugang zum Lesen und Schreiben bekamen und liess auf eigene Kosten Bücher verteilen. «Er hatte das humanistische Ideal, dass die Kultur die Zivilisation wirklich verbessert», sagt Jacques Burckhard.
Eine Arche durch die Zeit
Dieses Ideal spiegelt sich in der zurückhaltenden Architektur von Mario Botta. Die Besucher betreten eine stilisierte Arche Noah, die das kulturelle Erbe der Menschheit sicher durch die Zeiten fährt.
Das Museum, das 2003 eröffnet wurde, liegt unterhalb der prachtvollen, klassizistischen Gebäuden auf dem Anwesen der Fondation Bodmer, mit Blick auf den Genfersee.
Licht ins Dunkel
Es wurde unterirdisch gebaut, aus Sicherheitsgründen, aber auch, weil die empfindlichen Objekte nur wenig Licht vertragen. Die Ausstellungsräume liegen im obskuren Halbdunkel, die Vitrinen erhellen sich nur, wenn jemand davor steht.
Dann leuchten die Bücher und Manuskripte auf wie die Lichtpunkte der Zivilisationsgeschichte. Eine Ausstellung, die dazu auffordert, in weiten Bögen zu denken.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 26.7.17, 17:22 Uhr