«Der Frauensport ist unsittlich und schädlich für die weibliche Erscheinung. Die Frau hat für Haus und Kind zu sorgen. Und der Wettkampf gebührt dem Manne». So bestimmte das vor 100 Jahren die Männerwelt. Frauen, die sich untereinander messen: Das war verpönt.
«Wenn sie es getan haben, war das ein Privileg der Oberschicht», erklärt Marianne Meier, Historikerin und Sportpädagogin an der Universität Bern. So wie bei «Les Sportives», einer Gruppe fussballbegeisterter Genferinnen.
Die Initiantin des Clubs: eine Tochter aus gutem Hause. Trainiert wird im Garten der elterlichen Villa. Eine Genfer Sportzeitung berichtet über diese fussballerischen Aktivitäten. Bald aber schwindet das öffentliche Interesse, «Les Sportives» lösen sich auf.
Als Schiedsrichterinnen willkommen
Es folgt die grosse Lücke. Von Frauenfussball ist kaum noch die Rede. Das konservative Frauenbild hält sich hartnäckig in den Köpfen der Männer. Bis im Jahr 1963, als zwei Schwestern im Aargau daran rütteln. Monika und Silvia Stahel gründen den FC Goitschel und siegen an Grümpelturnieren auch gegen Männerteams.
Den Antrag der Stahel-Schwestern, offizielle Spiele austragen zu können, lehnt der Schweizerische Fussballverband allerdings ab. Immerhin: Sie dürfen Schiedsrichterinnen werden. Die beiden Schwestern nehmen das Angebot an und werden so zu den ersten weiblichen Unparteiischen im Land.
Man nannte sie den blonden Berg
Die Männer entscheiden. Das zeigt auch der Fall Madeleine Boll. 1965 wird die Walliserin zur ersten lizenzierten Fussballerin der Schweiz. Der Verband hält den kurzhaarigen Blondschopf für einen Jungen, bemerkt diesen Irrtum aber bald und «korrigiert» ihn.
Die Statuten würden nur Spieler zulassen, so der Verband, keine Spielerinnen. Zudem sei Fussball laut Ärzten kein Sport für Mädchen. Madeleine Boll lässt sich von diesem faktischen «Fussballverbot» nicht abhalten. Jahre später startet sie in Italien durch, damals das Mekka des Frauenfussballs.
Boll macht sich als «montagna bionda», als blonder Berg, einen Namen. Damit setzt sie auch in der Heimat einiges in Bewegung.
Endlich ein erster Club
Drei Jahre später folgt die nächste Premiere: Der erste Damenfussballclub der Schweiz wird gegründet. Eher durch Zufall, wie Mitgründerin Trudy Streit erzählt. Denn sie habe mit Fussball nichts am Hut gehabt.
Die damals 14-Jährige trainiert mit ihrer älteren Schwester Ursula im Leichtathletikverein, neben den Fussballern des FC Zürich. «Als einmal ein Ball zu uns flog, haben wir zu spielen begonnen – und Gefallen daran gefunden.»
Die Frauen haben das Glück, auf die richtigen Männer zu treffen. FCZ-Präsident Edi Nägeli stellt ihnen einen Trainingsplatz zur Verfügung. Per Zeitungsinserat suchen sie «Damen unter 80, die sich anschliessen möchten».
So wird am 21. Februar 1968 der Damenfussballclub Zürich geboren. Schon bald folgen Matches gegen andere Frauenteams. Trudy Streit hängt ihr Hobby aber nicht an die grosse Glocke: «Ich habe in der Schule nicht herumerzählt, dass ich Fussball spiele.»
Denn da sind immer diese dummen Sprüche: «Einer schaute uns regelmässig zu. Ich ging zu ihm hin und sagte, wie mich das freut. Er meinte, er schaue nur Frauenfussball, weil der Busen dabei so schön hüpfe.» Sie sei schockiert gewesen, erinnert sich Streit.
Trikots ohne Nummern und Namen
1970 erhalten die Frauen eine eigene Liga. Die besteht zunächst aus 18 Teams, verteilt auf drei Regionen. Erste Schweizermeisterinnen werden die Damen des FC Aarau. Sie dominieren zu Beginn, mit vier Titeln in Serie.
Anerkennung von den Männern ernten sie dafür allerdings kaum, viel eher herablassende Kommentare: von «Wesen, die da hinter dem Ball her hoppeln», ist in den Medien die Rede. Die Frauen müssen sich weiterhin einiges gefallen lassen.
Etwa beim ersten offiziellen Länderspiel in Basel, weiss Historikerin Marianne Meier: «Sie erhielten Trikots ohne Nummern und Namen, weil der Verband die Spielerinnen nicht kannte.» Das Schweizerkreuz habe man ihnen per Post nachgeliefert. «Die Frauen sollten das bitte selbst aufnähen. Sie wüssten ja, wie das geht», so Meier.
Endlich angekommen
Die Frauen nehmen es hin und gehen ihren Weg. Der führt 1993 zur Integration der Damenliga in den schweizerischen Fussballverband. Ein nötiger Schritt, weil die Damenliga zusehends mit organisatorischen, personellen und finanziellen Problemen kämpft.
Es ist ein symbolischer Schritt, weil die Frauen jetzt so richtig dazugehören. Und es ist ein Schritt, der einiges bewegt: vor allem in der Nachwuchsförderung. Der Fussballverband lanciert einen Cup für Juniorinnen und löst die Kategorie «Piccola» auf. Die Mädchen spielen mit den Jungen. Und sie erhalten ein eigenes Ausbildungszentrum.
Aus Gegnern werden Fans
Wichtig für den Frauenfussball sind auch die Weltmeisterschaften in den 1990er-Jahren. Die Leistungen der Spitzenteams aus den USA, China und Norwegen wecken das mediale Interesse.
Die Schweiz ist erst an der WM 2015 dabei, schafft es dann aber regelmässig, sich für grosse Turniere zu qualifizieren. Konstanz und Erfolg seien der Schlüssel zu mehr Beachtung, sagt Marianne Meier. Auch brauche es eine breitere Spitze. Zudem müssten Frauen auch hierzulande vom Fussball leben können.
Fussballpionierin Trudy Streit ist heute 70. Auf dem Platz zu stehen, ist für sie kein Thema mehr: «Ich könnte nicht mehr mithalten! Da hat sich athletisch und technisch so viel verändert.» Aber neben dem Platz ist sie noch häufig anzutreffen.
Zum Beispiel, wenn die Enkeltochter spielt – und dafür nicht mehr belächelt wird. Inzwischen hat der Wind gedreht. «Viele Männer sagen mir, sie seien beeindruckt von den Frauen und richtige Fans geworden.»
Dass es diese Stimmen immer häufiger gibt, ist Frauen wie Trudy Streit zu verdanken, die dem Frauenfussball in der Schweiz den Weg geebnet haben.