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Fussball-Europameisterschaft «Schiess doch, Meiteli»: Vergangenheit belastet Frauenfussball

Heute startet die Frauenfussball-EM in England. Warum spielt dieses Turnier in einer anderen Liga als jene der Männer? Ein Blick zurück bringt Antworten.

«Können sie sich vorstellen, dass Damenfussball in der Schweiz eine Zukunft hat?», fragt der Journalist. Die Fussballerin meint: «Warum sollte das keine Zukunft haben? Es gibt so viele Mädchen, die Sport treiben.»

Der Sportreporter zu einer weiteren Spielerin: «Fussball ist ein harter Sport. Wie verkraftet ihr Mädchen das?» Die Gefragte antwortet schlagfertig: «Es ist hart, aber das nimmt man auf sich. Warum sollen Mädchen nicht auch etwas tun, dass die Buben machen?»

Diese Szene von 1970 zeigt die grosse Skepsis gegenüber Frauenfussball – und wirkt bis heute nach. Hierzulande hängen keine Fahnen und es gibt kaum Public Viewings – obwohl mit der Fussball-Europameisterschaft der Frauen vom 6. bis 31. Juli in England der nächste internationale Sportanlass stattfindet. Wieso ist das so?

Fussball für Frauen lange Zeit verboten

Dass der Frauenfussball weniger beachtet wird, habe historische Gründe, erklärt Michael Jucker, Leiter des Sportgeschichtsportals Swiss Sports History. «Frauen war es bis fast in die 1970er-Jahre verboten, Fussball zu spielen. Als Begründung hiess es, ihre Reproduktionsorgane seien gefährdet und sie könnten sich weniger gut um Mann und Kinder kümmern.»

Erst 1968 wurde in Zürich mit dem Damenfussballclub der erste Frauen-Fussballverein der Schweiz gegründet. Kurz darauf kam die erste Schweizer Frauenliga. Die Reaktionen lagen irgendwo zwischen Erstaunen und Belustigung, wie ein Kommentar im Fernsehen zeigt: «Schiess doch, Meiteli, schiess. Daneben, daneben.»

Das Niveau des Frauenfussballs ist in den letzten Jahren gestiegen. Die Strukturen wurden professioneller und der Sport sichtbarer – auch dank der sozialen Medien. Doch dass Frauenfussball lange verboten war und belächelt wurde, ist bis heute spürbar. «Bei der medialen Repräsentation, den Unterstützungsgeldern und den Löhnen gibt es noch viel Luft nach oben», betont Sportexperte Jucker.

Zwar hat der Schweizerische Fussballverband SFV kürzlich die Prämien des Frauen-Nationalteams jenen der Männer angeglichen. Laut Jucker ist das aber lediglich ein Tropfen auf dem heissen Stein: «Nach wie vor spielen viele Frauen für wenig oder gar keinen Lohn Fussball in den oberen Ligen.» Zudem hat die Uefa das Preisgeld für die EM zwar verdoppelt auf 16 Millionen Euro. Das ist jedoch immer noch ein Vielfaches weniger als bei den Männern, die im letzten Jahr 331 Millionen Euro erhalten haben.

Ein weiteres Beispiel sind die Meisterpokale. Während jener der Männer vergoldet ist und 13 Kilogramm wiegt, ist der Frauenpokal aus Blech. «Da zeigt sich auch symbolisch eine unterschiedliche Werthaltung», sagt Jucker und spricht von einem Teufelskreis. «Je weniger Aufmerksamkeit in den Medien, desto weniger wollen Sponsoren investieren.» Entsprechend ist bei den Frauen der Staff kleiner und die Unterbringung an Turnieren unterscheidet sich vom Standard der Männer.

EM dürfte dem Frauenfussball Aufwind geben

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Die Europameisterschaft soll dem Frauenfussball zu mehr Popularität verhelfen, so der Tenor des Europäischen Fussballverbands Uefa. Und tatsächlich: Schon vor dem Eröffnungsspiel zwischen Gastgeber England und Österreich zeigt sich, dass diese EM Rekorde brechen wird. Über eine halbe Million Tickets waren bis am Tag vor EM-Start verkauft. Bei der letzten EM 2017 in den Niederlanden waren es halb so viele.

Der Grossteil der Tickets ist günstig zu haben – mit zehn britischen Pfund, umgerechnet rund 12 Franken, ist man dabei. So will die Uefa die Spiele für alle zugänglich machen und die Stadien füllen. Gut gefüllt sein werden die Stadien aber auch wegen ihrer geringen Grösse. «Da wurde überlegt, was im TV besser aussieht; ein kleineres volles Stadion oder grosse nur halb gefüllte Stadien. Zwar redet die Uefa von den besten Spielen aller Zeiten, hat aber doch nicht den Mut, zu sagen, lasst uns in den grossen Stadien spielen», kritisiert SRF-Fussballexpertin Kathrin Lehmann.

Dennoch ist sie überzeugt, dass die Frauenfussball-EM attraktiv wird. Auffällig ist auch das grosse Medieninteresse. Viele der teilnehmenden Länder zeigen mehr Spiele als in der Vergangenheit, entsprechend dürften die TV-Zuschauerzahlen steigen. Gastgeber England setzt alles daran, dass der Frauenfussball grosse Aufmerksamkeit erhält und wirbt im ganzen Land für die EM.

Darüber hinaus gibt es noch immer den Vorwurf, Frauenfussball sei weniger attraktiv und werde deshalb weniger gefördert. Die Vergleiche mit dem Männerfussball stören SRF-Sportredaktorin Seraina Degen. «Argumente wie jenes, dass Männer den stärkeren Schuss haben, werden oft vorgebracht. Logischerweise ist das Spiel der Frauen anders, da sie andere physische Voraussetzungen haben. Aber deshalb ist es nicht weniger attraktiv.»

Die Schweiz an der Frauen-Europameisterschaft

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Das Schweizer Frauen-Nationalteam ist Teil der Gruppe C, gemeinsam mit den Niederlanden, Schweden und Portugal. Die beiden erstplatzierten Fussballteams erreichen die Viertelfinals. Folgende Gruppenspiele stehen für die Schweizerinnen an:

  • Samstag, 9. Juli, 18 Uhr, Wigan & Leigh:
    Portugal – Schweiz
  • Mittwoch, 13. Juli, 18 Uhr, Sheffield:
    Schweden – Schweiz
  • Sonntag, 17. Juli, 18 Uhr, Sheffield:
    Schweiz – Niederlande

Heute Morgen, 06.07.2022, 06:00 Uhr ; 

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