Freikirchen zeichnen sich oftmals durch enge soziale Bindungen aus. Man kennt sich, weiss umeinander. Das kann Geborgenheit und Sicherheit geben. Wenn Skepsis an der Lehre der Gemeinde aufkommt, ist es aber unter Umständen schwierig, sich aus der Gemeinschaft zu lösen.
Während der Pandemie war es für Zweiflerinnen und Zweifler deshalb einfacher, sich «herauszuschleichen». So kam es im Laufe der letzten zwei Jahre zu einer kleinen Austritts-Bewegung.
Die soziale Kontrolle entfiel
Neu konstituierte sich beispielsweise der Verein «fundamental frei». Sarah Strehler ist Vorständin und vertritt Schweizer und Schweizerinnen, die sich unter @freikirchen.ausstieg in den sozialen Medien fanden. Insgesamt gehören mehrere Tausend Deutschsprachige dazu, davon einige Hundert aus der Schweiz, so Sarah Strehler.
Warum kam es während der Pandemie vermehrt zu Austritten? «Viele Pflichttermine fielen aus», sagt Strehler, «und die soziale Kontrolle fiel weg».
Existentielle Fragen
Man habe ganz ohne schlechtes Gewissen zuhause bleiben können. Ausserdem habe die Pandemie viele existenzielle Fragen aufgewirbelt und Zweifel an die Oberfläche gespült. Menschen, die Mühe mit vielen Themen hatten, fanden im Internet Gleichgesinnte, zum Beispiel unter #exevangelikal. «Der Hashtag hat sich in den letzten zwei Jahren im deutschsprachigen Raum sehr etabliert», sagt Strehler.
Die Gründe seien individuell, und doch ähnelten sie sich. «Es geht immer wieder um den Umgang mit Sexualität, mit Queerness, aber auch um ein dualistisches Denken.» Es gehe um Himmel oder Hölle, errettet oder verloren sein. Ausserdem kritisierten Aussteiger die Wissenschaftsfeindlichkeit einiger Gemeinden.
So wurden Ausstiege durch die Pandemie durch zwei Seiten begünstigt: Einerseits fiel die Anbindung an die Ortsgemeinde weg und andererseits gab es im Internet neue Möglichkeiten zum Austausch mit anderen, die mit ihrer Freikirche haderten.
Weite statt Enge predigen
Zahlenmässig werden diese nicht erfasst. Doch da sie gut vernetzt und medial präsent sind, wird das Thema diskutiert. Zum Beispiel bei «Glaube und Gesellschaft im Gespräch». Die Plattform gehört zur Theologischen Fakultät der Universität Fribourg. Oder beim Podcast «Hossa Talk», der in der postevangelikalen Szene eine grosse Rolle spielt.
Peter Schneeberger ist Präsident des Dachverbandes Freikirchen.ch. Er sagt: «Wir nehmen diese Entwicklung wahr.» Ende März gebe es eine Leiterkonferenz, an der sie einen halben Tag darüber sprechen wollen. «Es beschäftigt uns, dass wir Mitglieder verlieren und uns diese spiegeln, dass sie Enge erlebt haben.»
Mehr Warmherzigkeit wagen
Sein Anliegen sei deshalb: Weite und Hoffnung vermitteln. Ob eine Freikirche gut oder schlecht durch die Pandemie kam, habe auch mit ihrer Haltung zu tun, mit dem «Groove», der dort herrsche: «Pflegt meine Freikirche eine positive oder negative Weltsicht?»
Ausserdem beobachte er Gemeinden, die warmherzig seien, und andere, die eher kühl kommunizieren. «Wenn bei einer distanzierten Gemeinde noch Abstand und Masken hinzukommen, wird es schwierig», so Schneeberger.
Nun freue er sich über das Ende der Einschränkungen. Endlich wieder Gottesdienste mit allen feiern. Er veröffentlichte gar eine Medienmitteilung: «Freikirchen feiern das grosse Comeback».
Das Comeback mag es für diejenigen geben, die wegen der Corona-Massnahmen wegblieben. Die Aussteiger und Aussteigerinnen wollen ihre neu gewonnene Freiheit aber nicht mehr aufgeben, ist Sarah Strehler überzeugt.