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Freizeittrend «AFOL» Lego ist seine Leidenschaft: Wenn Männer wieder zu Kindern werden

Immer mehr Erwachsene entdecken die Spielzeugwelt wieder für sich. Was gibt ihnen das? Zu Besuch bei einem erwachsenen Lego-Liebhaber.

Es klickt und klackt unter seinen Fingern. Ein Baustein passt perfekt auf den anderen. Gelb. Blau. Rot. So klar wie die Farben und Formen der Bausteine, so klar beim Spielen sein Kopf: «Ich vergesse die Zeit beim Legobauen», sagt Michael Strasser. Der 45-Jährige lebt mit seiner Frau Anja und drei Kindern in einem Haus in Uster – und bezeichnet sich als «AFOL», als «Adult Fan of Lego». Er ist ein erwachsener Lego-Fan.

Mann baut LEGO-Struktur in Bastelraum.
Legende: Vollkommen versunken und im Freudentaumel: Michael Strasser ist erwachsener Lego-Fan. SRF/Gian Vaitl

Bis zu drei Stunden pro Tag spielt Michael Strasser im eigens dafür eingerichteten Zimmer – allein oder mit seinen Kindern. Eine Million Teile besitzt er nach eigener Schätzung. «Ich mache mir absichtlich nicht bewusst, welchen Wert meine Sammlung hat. Aber ich könnte mir davon sicher ein neues Auto kaufen.»

Meditatives kreatives Chaos

Im Alltag arbeitet der gelernte Koch in Uster im Hallenbad an der Kasse. «Was mich in der Privatwirtschaft wahnsinnig machen würde, ist mir zuhause völlig egal.» Das Verfügen über die eigene Zeit befreit – und schafft Raum für Kreativität.

Michael Strasser führt uns die Treppe hoch in die erste Etage seines Hauses. Im umfunktionierten Büro stapeln sich, fein säuberlich sortiert, die Schubladen mit Legobausteinen wie in einer Werkstatt.

Die Burg, an der Strasser zuhause gerade arbeitet, besteht aus 20'000 Teilen. Einen Teil muss er wegen eines Planungsfehlers zurück bauen: eine Grossbaustelle im Format 1:100. Worin liegt die Faszination für dieses Spielzeug? «Ich baue nicht nach Plan, sondern frei drauflos. Das ist wie Meditation.»

Schleier der Scham

Im Lauf der Recherche passiert uns immer wieder dasselbe: Erwachsene, die Lego spielen, erzählen am Telefon bereitwillig von ihrer Leidenschaft. Geht es aber um einen Reportage-Termin, ziehen sich viele wieder zurück. «Nur ganz wenige Arbeitskollegen wissen von meiner Leidenschaft», sagt ein «AFOL» am Telefon. Erwachsene, die leidenschaftlich einem Spiel frönen, stossen oft auf Unverständnis – oder provozieren sogar.

Michael Strasser hingegen geht mit seinen Lego-Konstruktionen immer wieder hinaus: In unregelmässigen Abständen veranstaltet er mit einem Verein Ausstellungen für die breite Öffentlichkeit.

«Da treffe ich oft Bekannte an, von denen ich nicht gedacht hätte, dass sie sich für Lego interessieren.» Die Besucherzahlen sind, nach Strassers Angaben, jeweils im mittleren vierstelligen Bereich.

Viele erwachsene Lego-Fans sprächen allerdings nicht davon, dass sie mit den Bausteinen spielen. «Auch ich sage eher, ich baue mit Lego», sagt Strasser. «Obwohl ich schon weiss, dass es eigentlich ein Spielzeug ist. Aber ich siedle das Legobauen eher im Modellbau an.»

Spielzeugbranche trifft den Nostalgie-Nerv

Den Einstieg findet Strasser vor mehr als zehn Jahren über Lego-Bausets, die sich dezidiert an Erwachsene richten. «Der erste Film, den ich als Kind mit meinem Vater am TV geschaut habe, war «Star Wars». Als vor fünfzehn Jahren die ersten Legosets dazu erschienen, war für mich klar: Die muss ich haben. Egal, was es kostet. Die Sets sind teuer, aber sie berühren mich nostalgisch.» Auf diesen «Nostalgie-Nerv» zielt aktuell eine ganze Branche ab – mit Erfolg.

Spielsachen für Erwachsene trenden offenbar weltweit: Laut der Spielwarenmesse im bayrischen Nürnberg erfreut sich die Branche grosser Beliebtheit. In einer Mitteilung auf der Webseite richten sich die Verantwortlichen an Spielwarenhersteller mit einer Anleitung, wie Hersteller gezielt Erwachsene an sich binden können.

Zielgruppe: «Kidults» – Eine Anleitung für Spielzeugverkäufer 

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Hinter dem Verkauf von Spielwaren für Erwachsene steckt eine ausgeklügelte Strategie – eine Studie zeigt, mit welchen Argumenten die sogenannten «Kidults» angelockt werden sollen:

  1. Limited Edition sollen den Sammlertrieb in den erwachsenen Spielenden wecken.
  2. Nostalgie: Erinnerung an die Kindheit mit neuen Features.
  3. Das Einkaufserlebnis: Erwachsene suchen nach einem spannenden Einkaufserlebnis im Geschäft. Online und im Geschäft.
  4. Attraktive Ladenflächen
  5. Communitys, online und offline.

Die Branchentipps passen auf Michael Strassers Leidenschaft wie ein Legostein auf den anderen. Auch in der Schweiz scheint die Strategie aufzugehen. 2024 waren 18 Prozent der verkauften Lego-Sets speziell für Erwachsene designet. Im Jahr zuvor waren es knapp 15 Prozent.

Mit den hohen Preisen für Erwachsenensets schlägt sich diese Strategie vor allem in den Umsatzzahlen nieder: Fast die Hälfte des Umsatzes, der 2024 mit Lego gemacht wurde, gehen auf Erwachsenensets zurück: 45 Prozent.

Der Spielverderber

«Es ist grossartig, wenn Erwachsene spielen», hält der deutsche Philosoph Christoph Quarch grundsätzlich fest. Spielen setze Energie frei und könne eine grosse Ressource der Erholung darstellen.

«Im Spiel kann ich als Erwachsener etwas tun, wofür ich niemandem ausser mir und den Göttern Rechenschaft ablegen muss.» In einer Welt, in der das effiziente, ökonomische Denken vorherrscht, biete das Spiel eine Abwechslung: «Der Spielende ist nicht der Homo oeconomicus, der sich bei allem fragt: Was bringt mir das? Sondern er ist der Homo ludens, der etwas tut, was in sich vollkommen selbstgenügsam ist.»

Christoph Quarch

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Mann in grauem Sakko vor Hecke lächelnd.
Legende: Ulrich Mayer

Christoph Quarch ist Philosoph, Autor, Publizist und Hochschuldozent mit Fokus auf Ethik und Wirtschaftsphilosophie. Gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler Gerald Hüther schrieb der er das Buch «Rettet das Spiel» (2016).

Spielende Erwachsene tun etwas, so der Philosoph, was irritiert oder gar provoziert, weil es im Ökonomismus nicht normal ist.

Infantilität und Sammelfieber

«Spielende gehen über eine Grenze in eine Anderswelt, von der sie fürchten, vom Homo oeconomicus als infantil diffamiert zu werden. Das kann dazu führen, dass Menschen sich dafür schämen, in diese Spielwelten einzutauchen.»

Lego-Ritter mit Pferden in Schlachtszene vor Burg.
Legende: Die Liebe steckt im Detail – auch im Lego-Universum. SRF/Gian Vaitl

Aus der Ökonomie drohe dem «echten» Spiel zudem eine weitere Gefahr: «Ein Spiel ist nur dann vollkommen, wenn es nebst Regeln auch Grenzen hat.» In der Welt der Online-Games sind diese Grenzen oft nicht gegeben, was ein Suchtrisiko beinhaltet.

Die «Geschenke» des Spiels

Christoph Quarch weist auf drei Wesensmerkmale des «echten» Spiels hin:

  1. Das Geschenk der Freiheit: «Spielende vergessen sich selbst und die alltäglichen Verpflichtungen vollkommen. Das erleben sie als wunderbaren Zustand der Befreiung. Spielende sind gleichzeitig selbstvergessen und ganz bei sich selber.»
  2. Das Geschenk der Offenbarung: Alle Spiele, so der Philosoph, zeigten etwas, was sich sonst nicht zeigen würde. «Ich gelte gemeinhin als der nette, konziliante Philosoph. Auf dem Fussballplatz würde man aber sehen, dass in mir auch ein Krieger stecken könnte. Im Rollenspiel und im Schauspiel können wir etwas zum Ausdruck bringen, was in der Alltagswelt keinen Platz findet.»
  3. Das Geschenk der Gemeinschaft: Bei einem Ball, bei einem Baukasten und in einem Kartenspiel wissen wir nie, wie sich das Gegenüber verhalten wird. «Selbst wenn wir keine anderen Mitspieler haben, spielen wir nie alleine.»

«Wenn wir uns das Recht herausnehmen, zu spielen, wird es spannend», ist der Philosoph Christoph Quarch überzeugt: «Wirklich befreiend, begeisternd und lebendig machend ist ein Spiel dann, wenn es uns immer wieder aufs Neue Möglichkeitsräume eröffnet, in denen wir uns erproben können.» Ganz so wie der freie Weltenbauer und «Adult Fan of Lego» Michael Strasser.

Auch er lässt Kritik zu an der Strategie von Lego. Ein Set bauten die meisten nur einmal auf. Danach locke schon das nächste. «Bei den Sets für Erwachsene hat mich lange das Sammlerfieber bei der Stange gehalten. Unterdessen ist mir das Angebot zu gross und die einzelnen Sets sind zu teuer.»

SRF 3, Input, 26.1.2025, 20:03 Uhr

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