Rund um die WM-Vergabe an Katar im Jahr 2010 wuchs in Doha die Sorge vor einer sportlichen Blamage. Noch nie hatte sich das Nationalteam des kleinen Golfstaates für das Turnier qualifiziert. Die heimische Liga brachte nur wenige Talente hervor.
«Katar konzentrierte sich auf junge Talente», berichtet der Nahost-Forscher Robert Chatterjee. Die Aussenstelle der katarischen Sportzentrale Aspire im Senegal sichtete Zehntausende afrikanische Spieler – nur einige Dutzend wurden jährlich nach Doha eingeladen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten brachte dann Fussballtrainer Félix Sánchez Ordnung ins System: Der Spanier hatte nicht auf höchstem Niveau gespielt, aber er lernte seine Grundlagen als Jugendtrainer beim FC Barcelona.
Profiimport an den Golf
Bereits 2006 wechselte Sánchez zu Aspire nach Doha, wo er 2017 das A-Nationalteam übernahm. Sánchez kennt die aktuellen Nationalspieler seit ihrer Jugend. Gut ein Drittel von ihnen hat Wurzeln ausserhalb Katars: Ihre Eltern und Grosseltern stammen aus Somalia, Jemen, Algerien oder dem Sudan. «Das Team verdeutlicht die Migration aus ärmeren arabischen Ländern an den Golf», sagt der Journalist Maher Mezahi.
Ihren Durchbruch feierte die katarische Auswahl mit dem Gewinn der Asienmeisterschaft 2019. Torschützenkönig wurde der katarische Stürmer Almoez Ali, geboren im sudanesischen Khartum. Akram Afif wurde zu Asiens Spieler des Jahres ernannt. Sein Vater stammt aus Somalia, seine Mutter aus dem Jemen. Doch auch prominente Spieler sind keine vollwertigen Staatsbürger Katars. Von den 23 Spielern des Asienmeisters hatten 17 nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen für Katar.
Dokumente der Sportler sind befristet
Das Fundament dafür ist das Staatsangehörigkeitsgesetz von 2005. Katarer, die ihre lokale Familiengeschichte bis in die 1930er-Jahre zurückverfolgen können, dürfen sich als «Einheimische» bezeichnen. Für Arbeitsmigranten dagegen ist die Chance auf eine vollwertige Staatsbürgerschaft fast aussichtslos. «Sportler, die Katar vertreten, erhalten befristete Dokumente», erläutert Danyel Reiche von der Georgetown University in Doha.
Bei besonderen Verdiensten kann dieser Status dauerhaft aufgewertet werden. Ein Beispiel: 2015 unterlag Katar bei der heimischen Handball-WM mit einer Auswahl aus europäisch-stämmigen Spielern erst im Finale. Etliche Spieler wurden danach vollwertig eingebürgert. Doch auch sie dürfen erst fünf Jahre danach im öffentlichen Sektor arbeiten. Es heisst, dass pro Jahr nicht mehr als fünfzig Menschen eine solche Einbürgerung erhalten dürfen.
Einwanderer sind Gefahr für Stammesstrukturen
Von den rund 2,7 Millionen Einwohnern kommen lediglich 300‘000 katarische Staatsbürger in den Genuss aller Bürgerrechte. Die Einheimischen müssen für Energie, Bildung und Gesundheitsvorsorge nichts bezahlen. Viele Katarer betrachten einen Zustrom von Einwanderern in ihr Sozialsystem als Gefahr für ihre Stammesstrukturen.
In vielen Ländern verdeutlichen die Fussballnationalteams die Migrationsbewegungen der vergangenen Jahrzehnte. Auch das Team der Schweiz wird von Spielern mit Einwanderungsbiografien geprägt. Eine Staatsbürgerschafts-Hierarchie wie in Katar gibt es in Europa allerdings nicht. Katarische Spieler können in dieser Hierarchie aufsteigen. Die Bedingung dafür: Erfolg bei dieser WM.