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«Projekt Gnadenlos» Wie Katar in der Schweiz die Fussballwelt ausspionierte

Katar orchestrierte mit Hilfe von Ex-CIA-Agenten jahrelang eine grossangelegte Spionageoperation gegen Fifa-Funktionäre. Die Schweiz war zentral. Höchste katarische Regierungskreise sind involviert.

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Ein Spionagenetzwerk, das aus dem Schatten operiert. Geheimdienstliche Agenten, die verdeckt das Weltgeschehen beeinflussen wollen. Hacker, die brisante Informationen von Computern stehlen. Ein verborgener Auftraggeber, der das Ganze mit hunderten Millionen Dollar finanziert.

Das ist die Geschichte einer weltumspannenden Geheim-Operation.

Recherchen von «SRF Investigativ» zeigen zum ersten Mal im Detail, wie der Staat Katar über Jahre hinweg hohe Funktionäre des Weltfussballs hat ausspionieren lassen. Auch Gegner der bald stattfindenden WM ausserhalb des Verbandes Fifa gerieten ins Visier.

Höchste katarische Regierungskreise waren in Spionage involviert – unter anderem das heutige Staatsoberhaupt, der Emir von Katar.

Die Dokumente zeigen: Der Wüstenstaat wollte, dass ihm innerhalb der Fifa keine Positionsänderung, keine neuen Freundschaften, keine potenziell gefährliche Allianz entgeht – einfach nichts, was die WM-Austragung gefährden könnte.

Dafür beauftragte Katar eine amerikanische Firma: Global Risk Advisors. Ein Unternehmen, massgeblich bestehend aus Ex-Mitarbeitern amerikanischer Geheimdienste – angeführt vom früheren CIA-Spion Kevin Chalker.

Das Ziel war totale Kontrolle. Oder «worldwide penetration», die «weltweite Durchdringung», wie es in einem Dokument der Spionageoperation heisst.

Die Schweiz hatte eine zentrale Rolle in der Operation. In Zürich trafen sich der Chef-Spion und seine katarischen Auftraggeber – und hier spionierten sie Personen aus. Mutmasslich wurden in der Schweiz im Auftrag Katars Straftaten begangen.

Chalker bestreitet sämtliche Vorwürfe. Der Staat Katar reagierte nicht auf Fragen. Kurz nach der SRF-Anfrage hielt der Emir Katars eine öffentliche Rede, in welcher er eine «Kampagne» gegen sein Land beklagte.

Recherchen zeigen: Die Opfer waren den Spionen ausgeliefert. E-Mail-Accounts, Computer, Telefone, bis in den Freundeskreis, sogar bis in die Familie – überall hin drangen die Schattenkrieger Katars vor.

Das Ziel war nicht nur, Informationen zu beschaffen. Die Recherche lässt den Schluss zu: In den letzten zehn Jahren gab es in der Fifa-Politik eine unsichtbare Hand, die versuchte, die Fäden zu ziehen. Die Spione behaupten, in das höchste Gremium des Weltfussballs vorgedrungen zu sein, das nur den 24 höchsten Fussball-Funktionären zugänglich ist: das Fifa-Exekutivkomitee.

Dies ist die Geschichte von «Projekt Gnadenlos».

Diese Geschichte spielt in einer Halbwelt. Die Spione sind unsichtbar. Doch ihre Aktivitäten haben reale Konsequenzen. An realen Orten.

Am 5. Januar 2012 startet der Cyber-Angriff auf einen Schweizer.

Ein früherer Berater von Fifa-Präsident Sepp Blatter erhält mehrere merkwürdige E-Mails. Die Absender scheinen unbedingt zu wollen, dass er die Anhänge der Nachrichten öffnet. Immer wieder versuchen sie es.

Klickte er auf die Dateien, würde sich auf seinem Computer heimlich eine Software installieren. Sie soll alle Daten auf seiner Festplatte kopieren und unbemerkt an den Angreifer verschicken.

Der Mann hinter dem Computer heisst Peter Hargitay. Offiziell ist er Berater. Doch innerhalb der Fifa gilt er als Spindoctor. Als einflussreicher Strippenzieher hinter den Kulissen. Früher stand er dem damals noch allmächtigen Präsidenten Sepp Blatter nahe. Danach beriet er den australischen Fussballverband um dessen Präsidenten, den Milliardär Frank Lowy. Hargitay hätte Australien helfen sollen, die WM 2022 nach Down Under zu bringen und arbeitete darum eng mit Lowy zusammen.

Kein Zweifel: Auf Hargitays Computer liegen wertvolle Informationen. Ein Schatz für jeden, der wissen will, was im Umfeld der Fifa wirklich passiert.

Wer will das so dringend, dass er bereit ist, sich strafbar zu machen?

Hargitay ist Schweizer, seine Firma hat damals ein Büro an der Zürcher Goldküste. Er erstattet Strafanzeige. Der Angriff auf den Fifa-Insider – er wird ein Fall für die Schweizer Behörden.

Die Spuren führen nach Indien.

Schnell stellt sich heraus: Der Angriff dürfte von der Infrastruktur einer IT-Firma aus Indien namens Appin Security ausgehen. Das zeigen Akten des Zürcher Strafverfahrens, die SRF vorliegen. Die Hacker scheinen unsorgfältig gearbeitet zu haben. Auf dem Server, der für den Angriff benutzt wurde, finden sich viele Beweismittel, die alle auf Appin hindeuten.

Appin ist eine schwer fassbare Firma. Kontrolliert wird sie damals von einem indischen Unternehmer. Offiziell bietet Appin zu der Zeit nur legale Dienstleistungen an, wie Schutz gegen Hacker-Angriffe.

Ein Anwalt des Unternehmers sagt gegenüber SRF: «Mein Mandant ist ein erfolgreicher internationaler Unternehmer mit gutem Ruf. Er wurde noch nie von Strafverfolgungsbehörden in irgendeinem Land befragt. Er bestreitet ausdrücklich alle Verbindungen zu jeglichen illegalen Aktivitäten.»

Doch rund um den Globus fallen damals Angriffe auf, welche die Fingerabdrücke von Appin tragen. Sie scheinen kein Muster zu haben. Als würde die indische Firma ziellos zuschlagen.

Dahinter steckt gemäss SRF-Recherchen und internationalen Medienberichten ein damals relativ neues Geschäftsmodell. Die Firma greift Ziele gegen Honorar an und liefert die Informationen an den Auftraggeber. Man nennt das «Hacking-for-hire».

Der Angriff gegen den Fifa-Insider Peter Hargitay ist also nur eine Auftragsarbeit.

Für wen?

Dokumente beweisen: Peter Hargitay ist damals im Visier eines geheimen Spionage-Netzwerks, das für die Regierung Katars arbeitet. Ein hochvertrauliches Planungsdokument der Spionagefirma Global Risk Advisors um den Ex-CIA-Spion Kevin Chalker zeigt auf, was in dem Hacking-Fall wohl wirklich geschehen ist. Und dass Schweizer mutmasslich im Auftrag der Regierung Katars angegriffen wurden.

Die Unterlagen enthüllen einen Plan zu einer globalen Rufmordkampagne. Eine zynische Manipulation der Machtbasis in der Fifa. Die Idee, die in dem Dokument ausgebreitet wird: Belastende Informationen über Fifa-Insider Hargitay und den australischen Fussballverbands-Präsidenten Frank Lowy zu sammeln – und diese der amerikanischen Bundespolizei FBI zuzuspielen.

Das Papier trägt den Namen: «Projekt Uhrwerk: Operationskonzept». Das Datum: Dezember 2011. Nur einen Monat, bevor der Blatter-Vertraute Peter Hargitay die ersten verseuchten E-Mails erhält.

Das eigentliche Ziel war nicht Peter Hargitay, sondern Frank Lowy, wie aus dem Dokument hervorgeht. Lowy war während der australischen WM-Bewerbung eng von Hargitay beraten worden. Warum die Spione hinter Lowy her sind, scheint klar: Der Australier war ein erbitterter Gegner der WM in Katar und sagte offen, dass der Wüstenstaat die Weltmeisterschaft wieder verlieren könnte.

Im Planungsdokument der Spione steht, Lowy sei ein schwieriges Ziel. Aufgrund seines Vermögens und seiner Kontakte habe er Zugang zu erheblichen Mitteln für die Spionageabwehr. Das Risiko für die Mitarbeiter von Global Risk Advisors sei hoch, falls etwas schief gehe.

Weiter: «Die Deadline verlangt einen Brute-Force-Angriff». Später taucht ein Bild von Peter Hargitay in dem Dokument auf.

Frank Lowy übergibt Dokumente an Sepp Blatter
Legende: Im Visier der katarischen Geheimoperation: Der australische Fussballverbands-Vorsitzende Frank Lowy (l.). Hier in Zürich im Jahr 2010 bei der Übergabe der australischen Kandidatur für die WM 2018/2022. Keystone

Unter dem Titel «Auf dem Drahtseil balancieren» legen die Spione offen, wie sie Lowy und Hargitay ausschalten wollen. Sie wollen eine Untersuchung der amerikanischen Strafbehörden, über welche die Spione offenbar Insider-Infos haben, für ihre eigenen Zwecke nutzen.

Das Dokument behauptet eine geheime, angebliche Beziehung zwischen Hargitay, Lowy, und der russischen Bewerbung um die WM 2018. Dann folgt: «Können wir helfen, Verbindungen herzustellen?» Und: «Beweismaterial den Strafverfolgungsbehörden bereitstellen».

Mit einer Untersuchung durch das amerikanische FBI wären sowohl Lowys wie Hargitays Ruf global zerstört gewesen. Beide wären «neutralisiert».

Gemäss Recherchen von SRF wurde das «Projekt Uhrwerk» von Katar bewilligt. Und einen Monat nachdem das Planungsdokument erstellt wurde, wurde Peter Hargitay gehackt. Dass eine andere Firma den Hacking-Angriff auf Hargitay ausführte, ist nicht ungewöhnlich. Global Risk Advisors behalf sich damals immer wieder mit Sub-Unternehmen für die Beschaffung von Informationen, wie Recherchen zeigen. Ein Vorteil dieser Methode: Es ist schwieriger, die Angriffe Chalkers Firma zuzuordnen. Und noch schwieriger, Katar als Auftraggeber auszumachen.

In einem Dokument versprach die Firma zudem explizit die Verwendung von «Sündenböcken» und «Blitzableitern», welchen die Schuld zugeschoben werden sollte.

Der Chef-Spion Chalker sah Peter Hargitay bereits weit vor dem Hack als wichtiges Ziel. Das sagte er damals Personen aus seinem Umfeld. Chalker hatte für Hargitay damals sogar einen Codenamen: Broken Arrow, auf deutsch «gebrochener Pfeil».

Der Plan zur Kompromittierung von Lowy und Hargitay ist nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs. Hinter den Kulissen der Fifa spielte sich in den Jahren nach der WM-Vergabe Ende 2010 unbemerkt eine Spionage- und Beeinflussungsoperation ab, die sich damals wohl kaum jemand hätte vorstellen können. Orchestriert von Katar, durchgeführt von der Firma Global Risk Advisors.

SRF liegt eine Reihe von Dokumenten vor, welche die Spionageoperation beschreiben. Diese Redaktion erhielt die Informationen von mehreren Personen, die autorisierten Zugang zu den Dokumenten hatten.

Der Kopf hinter der Operation ist Kevin Chalker. Ein Ex-Mitarbeiter der Central Intelligence Agency (CIA), dem Auslandsgeheimdienst der USA.

Chalker – braune Haare, rötlicher Bart – war mindestens fünf Jahre lang für die CIA tätig. Nicht als Analyst im Büro, sondern als «Operations Officer», also jenem Teil des Geheimdienstes, der verdeckte Aktionen durchführt. Ein echter Spion.

Er verliess die CIA vor einigen Jahren. Zunächst war er in Gesprächen mit «Dilligence», einem britischen Unternehmen im Bereich Informationsbeschaffung. Doch er gründete seine eigene Firma Global Risk Advisors – die vor allem aus amerikanischen Ex-Geheimdienstlern besteht – und arbeitete mit ihr schliesslich für Katar.

Ein Anwalt von Kevin Chalker bestreitet auf Anfrage von SRF sämtliche Vorwürfe: «Global Risk Advisors und Herr Chalker wissen nichts von diesen angeblichen neuen Hacks oder dem anderen Fehlverhalten, das in Ihrer Anfrage angedeutet wird, und haben sicherlich in keiner Weise daran teilgenommen.» Weiter: «Sie behaupten, Dokumente von Global Risk Advisors zu haben, um einige der falschen Anschuldigungen zu belegen. Sofern Sie tatsächlich über Dokumente verfügen, sollten Sie als Journalist deren Echtheit in Frage stellen.»

SRF hat die Authentizität der Unterlagen mit mehreren Massnahmen geprüft. Chalker äusserte sich trotz konkreter Fragen nicht dazu, welche Rolle er in Katar einnahm.

SRF-Recherchen zeigen: Zuerst – vor der Vergabe der WM im Dezember 2010 – spionierte Chalker die gegnerischen WM-Bewerbungen aus. Als nach dem Zuschlag für Katar Kritik wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen laut wurde, wechselte das Ziel. Nun sollte mit allen Mitteln verhindert werden, dass die Fifa Katar die WM wieder wegnimmt.

Chalker entwarf mit seiner Firma den Plan, der nichts dem Zufall überlassen sollte.

«Projekt Uhrwerk» sowie die Aktionen gegen Lowy und Hargitay waren nur ein Teil davon. Das «Projekt Gnadenlos» folgte. Ein Projektbeschrieb zeigt, wie tief man in die geheimdienstliche Trickkiste greifen wollte – und wie ambitioniert das Projekt war.

Das Dokument schlägt für das Projekt ein Budget zwischen 387 Millionen und 567 Millionen Dollar vor. Dafür sollten mindestens 66 Personen für Katar arbeiten – neun Jahre lang. Inklusive sogenannte «Blackhat case officers», die verdeckt Operationen durchführen sollen.

«Das ultimative Ziel ist es, weltweite Penetration zu erreichen», steht in dem Dokument. Damit soll Global Risk Advisors nichts entgehen. Keine Planänderungen, keine Positionsänderungen innerhalb der Fifa. Das Ziel ist die absolute Kontrolle.

Dafür eingesetzt würden auch «IT-Spezialisten» und Experten für «technical collection», wörtlich übersetzt: Sammlung mit technischen Mitteln.

Gemäss internen Dokumenten von Global Risk Advisors wurde das Projekt Gnadenlos durch Katar bewilligt. Und zwar mit einem Budget von 387 Millionen Dollar.

Das war nur die Minimalvariante. Doch sie zeigte offenbar Wirkung. In einem Dokument steht: «Die bisher grössten Erfolge des Projekts Gnadenlos [...] sind auf erfolgreiche Penetrationsoperationen zurückzuführen, die sich gegen lautstarke Kritiker innerhalb der Fifa-Organisation richteten.»

Ein Papier beschreibt die Tätigkeiten so: «[Das Projekt] ist darauf ausgerichtet, die Rolle Katars in Operationen zu verbergen und gleichzeitig Technologie sowie menschliche Aufklärung einzusetzen [...], um die öffentliche Meinung zu manipulieren.»

In Chalkers Aktivitäten waren die höchsten Regierungskreise Katars involviert. Gemäss den Dokumenten, die SRF einsah, gab der damalige Thronfolger und heutige Emir Tamim bin Hamad Al Thani vor der WM-Vergabe persönlich die Beschaffung von detaillierten Anruf- und SMS-Listen von mehreren Mitgliedern des Fifa-Exekutivkomitees in Auftrag.

Es ist unklar, wie genau der Emir nach der Vergabe der WM involviert war. Es gab in der Spionageoperation allerdings Jahre später noch einen Codenamen für ihn: «Apex».

Klar ist, dass Chalker und Katar sehr risikobereit waren und vor Prominenz nicht zurückschreckten. Ein SRF vorliegendes Dokument impliziert, dass auch Michael Garcia, Chefermittler der Fifa-Ethikkommission, zum Ziel von Operationen der Spione geworden sein könnte. Das Dokument trägt den Titel «Target Profile», also «Zielprofil», danach folgt eine mehrseitige Personenbeschreibung von Michael Garcia.

Gemäss Recherchen der Nachrichtenagentur Associated Press ermittelt die amerikanische Bundespolizei FBI seit mehreren Monaten gegen Kevin Chalker. Die Strafverfolger fokussieren neben möglichen Gesetzesbrüchen im Bereich Lobbying und Export von sensibler Technologie auch auf Chalkers Überwachungs-Aktivitäten im Auftrag Katars. Die Associated Press berichtete bereits letztes Jahr über Operationen Chalkers für den Wüstenstaat im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft.

Weder die katarische Botschaft in Bern noch das Kommunikationsministerium in Doha reagierten auf mehrere SRF-Anfragen. Kurz nach dem Eintreffen der Anfragen hielt der Emir von Katar eine öffentliche Rede in der «beratenden Versammlung», einer Art Parlament ohne Befugnisse. Er sagte, Katar sei seit der Vergabe der WM Opfer einer «beispiellosen Kampagne». Weiter: «Schon bald wurde uns klar, dass die Kampagne dazu neigt, sich fortzusetzen und sich auf Erfindungen und Doppelmoral auszuweiten, die so heftig waren, dass sie leider viele Menschen dazu veranlasst haben, die wahren Gründe und Motive hinter dieser Kampagne zu hinterfragen.»

Fassade Hotel Baur au Lac
Legende: Schauplatz von Spionage: Das Zürcher Nobelhotel Baur au Lac. Keystone

SRF-Informationen zeigen: Die Schweiz war zentral für die katarische Spionageoperation.

Gemäss Recherchen reiste Kevin Chalker im Rahmen der Spionageoperation im Auftrag Katars nach Zürich, um die Hotelzimmer von Exekutivkomitee-Mitgliedern und Journalisten zu verwanzen.

In einem Dokument finden sich offensichtlich im Rahmen einer Observation heimlich geschossene Fotos. Sie wurden im Zürcher Nobelhotel Baur au Lac aufgenommen. Man sieht darauf, wie sich Personen aus dem Fifa-Umfeld mit Funktionären und Journalisten treffen.

Unscharfes Foto aus dem Baur au Lac zeigt mehrere Personen, darunter Sepp Blatter.
Legende: Baur au Lac, Zürich: Heimlich geschossenes Observationsfoto eines Treffens im Fifa-Umfeld. srf

Die Spione fühlten sich offenbar wohl in der Schweiz. Gemäss Informationen von SRF traf Chefspion Chalker in Zürich seine katarischen Auftraggeber und sprach mit ihnen über Operationen. Mindestens ein Mitarbeiter von Global Risk Advisors hatte zudem in den Jahren nach der WM-Vergabe seinen permanenten Aufenthaltsort in der Schweiz.

Das ist ein Problem. Denn Spionage für ein fremdes Land ist auf Schweizer Boden verboten. Als «Verbotener Nachrichtendienst» können solche Aktionen strafbar sein.

Ungeachtet davon traf Chalker in Zürich einen seiner engen Kontaktmänner, einen hochrangigen katarischen Funktionär namens Ali Al Thawadi. Codename: Shepherd. Er ist der Stabschef des Bruders des heutigen Emirs, Mohammed bin Hamad bin Khalifa Al Thani.

Enge Kontaktleute für Chalker zu Katar in der Spionageoperation waren zudem zwei junge Männer: Ahmad Nimeh, der als Berater für die katarische WM-Bewerbung arbeitete. Und ein Katarer namens Ahmed Rashad. Beide haben Verbindungen zu einer mysteriösen Firma namens «Bluefort Public Relations» mit Sitz in Doha. Nimeh wurde bereits 2018 von der britischen Sunday Times mit «Black Ops», also verdeckten Kampagnen im Umfeld der Fussball-WM in Verbindung gebracht. Nimeh ist der Schwiegersohn von Patrick Theros, dem früheren amerikanischen Botschafter in Katar. Ein weiterer enger Partner von Nimeh, Nikos Kourkoulakos, war offiziell bei der WM-Bewerbung Katars angestellt.

Gemäss Firmenregister ist Nimeh‘s Kollege Ahmed Rashad der Mehrheitseigentümer von «Bluefort Public Relations».

Gemäss den Dokumenten beaufsichtigte eine Schlüsselperson für die baldige Durchführung der WM die Spionageoperation im Auftrag Katars: Hassan Al Thawadi. Er war Geschäftsführer der erfolgreichen WM-Bewerbung und führt heute das Supreme Commitee, ein Organ, das nun die WM in Katar organisiert.

In der Fifa blieb die Spionageoperation offenbar weitgehend unbemerkt. Der frühere Präsident Sepp Blatter sagt in einem Interview mit SRF: «Dass es eine organisierte Spionageaffäre in der Fifa gab, das hat mich überrascht. Und es ist bedenklich, dass man das macht.» Mehrere Dokumente zeigen, dass Blatter für die Spione von grossem Interesse war. So ist darin etwa vermerkt, dass man Blatters «Pläne und Absichten» vorab kennen müsse.

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Sepp Blatter: «Es ist bedenklich, dass man so etwas macht.»
Aus News-Clip vom 31.10.2022.
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Chalker und Global Risk Advisors müssen sich in den USA wegen angeblich ähnlicher Aktivitäten gegenwärtig einer Zivilklage stellen. Eingereicht wurde sie vom Trump-Vertrauten Elliott Broidy. Im Jahr 2018 wurden private Daten von Broidy an Zeitungen weitergegeben. Broidy beschuldigte Chalker und seine Firma, ihn im Auftrag Katars gehackt zu haben. Chalker bestreitet sämtliche Vorwürfe. Der Gerichtsfall ist hängig.

Einen Mann im Weltfussball fanden die katarischen Spione so wichtig, dass sie ihm ein eigenes Projekt widmeten: Projekt Riverbed, also «Flussbett». Diesen Codenamen gaben die Agenten dem deutschen Fussballfunktionär Theo Zwanziger.

Gemäss Dokumenten, die SRF vorliegen, liess sich Katar die Bespitzelung und Beeinflussung Zwanzigers zehn Millionen Dollar kosten, wie auch die Agentur Associated Press bereits im Frühling berichtete.

Zwanziger war bis 2012 Präsident des Deutschen Fussballbund, Bis 2015 Mitglied des Fifa-Exekutiv-Komitees – ein enorm einflussreicher Fussball-Funktionär, der mit den Mächtigen der Weltpolitik verkehrte – eine gewichtige und provokative Stimme gegen Katar.

Katar wollte diese Kritik unterbinden. Gemäss den Dokumenten wurde rund um Zwanziger ein Netzwerk aufgebaut. Ein Netzwerk aus Leuten, die ihn im Sinne Katars beeinflussen sollten. 

Um Zwanziger zu neutralisieren – wie es in den Dokumenten heisst -, griffen die Spione auf Geheimdienstmethoden zurück: 

Die Rede ist von «Black Ops», also schwarzen Operationen. Im Visier stand auch «Riverbed Family» – also Zwanzigers Familie.

Die Angreifer von Global Risk Advisors bauten offenbar Beziehungen zu diesen Personen auf. Mit einem Netzwerk aus «Assets, Quellen, und Kontakten». Diese seien auf fünf Kontinenten aktiv gewesen, um Zwanziger zu beeinflussen.

Zwanziger sollte immer dieselbe Botschaft präsentiert werden: «Die Weltmeisterschaft 2022 in Katar ist gut für die Welt.»

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Theo Zwanziger: «Das fühlt sich so als Gehirnwäsche an...»
Aus News-Clip vom 31.10.2022.
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Um die WM zu retten, wollte Katar stumme Kritiker. Auch bei Zwanziger blieb die Operation nicht vollständig ohne Wirkung. Er wurde Fifa-intern auf Linie gebracht, wie er heute sagt. Er leitete eine Arbeitsgruppe, die mehr Menschenrechte, dafür weniger Kritik an Katar durchsetzte: «Da gab es einige, die mich in diese Richtung gebracht haben. Das lag natürlich im Interesse Katars. Also genau diese Denkveränderung herbeizuführen», sagte er in einem Interview zu SRF. 

Doch auf seine Einstellung hatte dies nicht wirklich einen Einfluss, sagt Zwanziger: «Was sie jedoch unterschätzt haben ist, dass ich dabei meine Meinung nicht aufgegeben habe. Diese Vergabe war – wie ich es mal formuliert hatte – ein Krebsgeschwür des Weltfussballs. Von da aus kamen viele Strömungen, die den weltweiten Fussball beschädigt haben. Krebsgeschwür: Diese Meinung habe ich noch heute.» 

Bezüglich der Spionageoperation gegen sich sieht Zwanziger die Fifa in der Pflicht: «Das ist ein solcher Skandal. Den müssten die aufgreifen, die verantwortlich sind. Fifa-Präsident Infantino als allererster. Aber der macht das natürlich nicht, weil er ein Vasall von Katar ist.»

Fifa-Präsident Gianni Infantino hat sich auf Anfrage nicht dazu geäussert.

Obwohl er nie einen Profi-Match gespielt hat, ist Sunil Gulati einer der wichtigsten Männer in der Geschichte des amerikanischen Fussballs. Vom Handtuchträger bei der Jugendnationalmannschaft stieg er auf zum Präsidenten des US-Fussballverbandes. Über Jahrzehnte war er der einflussreichste Mann im Fussball Nordamerikas. Auf Bildern aus dieser Zeit sieht man ihn mit Barack Obama, Bill Clinton, Joe Biden.

Auf dem Höhepunkt seiner Macht wurde Sunil Gulati ausgespäht, sein Computer gehackt. Unbemerkt. Der Angreifer scheint alle PDF, Word-, Powerpoint-, und Excel-Dateien, die auf Gulatis Computer lagen, kopiert zu haben. Und diese Kopien gelangten zu SRF.

Fotos aus dem Familienalbum, der Arbeitsvertrag des US-Nationaltrainers oder das Budget für eine Präsentation in Zürich. Den Hackern bleibt nichts verborgen.

Gulati war zwei Jahre zuvor, während der WM-Vergabe, ein direkter Konkurrent Katars. Er war Präsident der amerikanischen Bewerbung um die WM 2022. In dieser Zeit interessierte sich auch Global Risk Advisors für ihn und erstellte ein mehrseitiges Personendossier über Gulati.

Aus den Metadaten von Gulatis Dateien geht hervor, dass die letzten Dokumente im Frühling 2012 bearbeitet wurden. Der Hack fand also nur wenige Wochen nach dem Angriff auf Hargitay statt. Bei Fifa-Insidern, mit denen SRF gesprochen hat, ist Gulati als Katar-kritisch bekannt.

Sicher ist, dass später jemand wissen wollte, was auf Gulatis Computer lag. Und nicht davor zurückschreckte, dafür einen Cyberangriff auf einen amerikanischen Staatsbürger zu verüben, obwohl das amerikanische FBI Hacking-Straftaten strikt verfolgt.

Gewerkschaft ITUC im Visier

Ein Problem für Katar stellte auch der internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) dar. Eine Dachgewerkschaft mit 200 Millionen Mitglieder – äusserte sich die Organisation jahrelang immer wieder kritisch über die WM in Katar. Sie war mitverantwortlich dafür, dass das Leid der Arbeiter in Katar die Weltöffentlichkeit bewegte.

Ende 2015 wurde die Gewerkschaft in Brüssel Opfer eines Cyberangriffs. Jemand kopierte das E-Mail-Konto der damaligen Pressesprecherin der Generalsekretärin. Die E-Mails tauchten bald – gemäss Gewerkschaft abgeändert – in der Presse auf.

Auf diesem Hack finden sich die Fingerabdrücke von Global Risk Advisors. SRF liegt ein Dokument vor, in dem die Spione die Gewerkschaft als ebenso grosses Problem für Katar darstellen wie die Fifa, oder der Golf-Kooperationsrat – eine diplomatisch äusserst wichtige Ländergruppe.

Global Risk Advisors erstellte zudem ein detailliertes Beziehungsnetzwerk von Personen, die für die Gewerkschaft arbeiten und inwiefern sie mit der Fifa zu tun haben. Mitten in dem Dokument findet sich die Presseprecherin, die gehackt wurde.

Untätige Zürcher Staatsanwaltschaft

In den letzten zehn Jahren haben Spione im Auftrag Katars die Fussballwelt ausspioniert. Recherchen zeigen: Die Zürcher Staatsanwaltschaft wusste frühzeitig von einer mutmasslichen Aktion des Spionage-Netzwerks. Sie kannte den Hack gegen Peter Hargitay seit 2012 – als die Spionage gerade erst so richtig startete. Und es war offensichtlich, dass es sich um eine grosse Sache handelte.

Doch in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft passierte kaum etwas. Die Strafverfolger unterliessen naheliegende Ermittlungshandlungen. Das bemerkenswerteste Beispiel betrifft den früheren CEO der indischen Firma Appin Security, die in dem Verfahren verdächtigt wurde. Zunächst fragte ihn die Staatsanwältin, ob er bereit wäre, Fragen zur Sache zu beantworten. Sein Anwalt teilte mit, dieser würde das schriftlich tun.

Hiermit bestätige ich Ihnen, […] dass Herr [...] bereit ist, Ihre Fragen schriftlich zu beantworten.
Autor: Anwalt des Tech-CEOs

Doch die Staatsanwältin – obwohl die Dimension des Falls klar war – schickte ihm niemals Fragen. Warum, ist unklar.

Mit Befremden stelle ich fest, dass die Staatsanwaltschaft II in der nun seit rund 5 Jahren laufenden Strafuntersuchung offenbar nichts weiter unternommen hat.
Autor: Anwältin Peter Hargitay

Und schliesslich, nach acht Jahren, schloss die Staatsanwaltschaft den Fall ab. Wegen angeblich unzureichender Ermittlungsansätze. Die Staatsanwaltschaft Zürich sagt auf Anfrage, aus gesetzlichen Gründen könne sie die eigenen Verfahrenshandlungen nicht erläutern. Ein Sprecher schreibt: «Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass umfassende aktenkundige Ermittlungshandlungen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten geführt wurden.» Weiter: «Eine Einflussnahme auf Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft fand nicht statt.»

Heute lebt der Tech-CEO in der Schweiz. Nur drei Wochen nach der Einstellung des Strafverfahrens kaufte er eine imposante Villa. 13.5 Millionen Franken zahlte er laut Grundbuchamt einer ukrainischen Oligarchentochter dafür. Heute präsentiert er sich als angesehener Start-Up-Investor und lässt sich in der Westschweizer Ausgabe der Zeitschrift Bilanz ablichten.

Was hätte er ausgesagt, wenn man ihn 2013 einvernommen hätte? Wäre die Geschichte anders ausgegangen? Hätten die katarischen Spione Angst vor Enttarnung gehabt und ihre Aktivitäten zurückgefahren? Auf diese Fragen wird es keine Antwort geben.

In zwei Wochen rollt in Doha der erste Ball. Millionen werden nach Katar schauen. Doch vielleicht mit anderen Augen, als es sich der Emir immer gewünscht hat. Falls es ein Fussballfest wird – dann eines geprägt von Geheimdiensten, Lügen, und Manipulation.

6. November 2022: Diese Publikation wurde aufgrund einer einstweiligen gerichtlichen Verfügung geändert. Der betroffene Unternehmer wurde auf dem Foto unkenntlich gemacht und sein Name aus der Publikation entfernt.

Impressum

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Leo Eiholzer, Andreas Schmid (Recherche und Text), Roland Specker, Dominique Marcel Iten (Redaktion), Marc Heer (Design), Robert Salzer (Frontend-Entwicklung), Recherche & Archive (OSINT).

SRF4 News, 02.11.2022, 06.00 Uhr

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