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Stellen wir uns einmal vor: Es gäbe eine lange Nacht – nicht der Museen – sondern der Banken. Wir könnten in jede Bank reinmarschieren und Fragen stellen, die uns ehrlich beantwortet würden: «Ab wann bekomme ich einen persönlichen Berater, der für mich rund um die Uhr erreichbar ist?» «Was verdiente letztes Jahr Ihr erfolgreichster Händler?» «Wie geht’s Ihrer Bank wirklich?»
Das wird nicht passieren. Banken bleiben Orte gut gehüteter Geheimnisse. Denn Diskretion ist Alles und Transparenz gibt es wenn, dann nur auf Druck von aussen.
Und so machen sich Kulturschaffende und die Öffentlichkeit eine eigene Vorstellung einer Bank, eines Bankers. Eine Vorstellung, die sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ändert. Wie hat sich das Image der Branche verändert und was sind die Hintergründe?
Die 60er-Jahre: Sparsäuli, Zinsen, Hypotheken
Ueli Mäder, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Basel, hat zu sozialer Ungleichheit geforscht. Banken in den 60er-Jahren hat er so in Erinnerung: «Das Sparsäuli hatte bei mir als Kind seinen Platz und seine Bedeutung. Später, als Jugendlicher habe ich das Geld eines Klassenkontos eingezahlt, da haben wir einen Zins bekommen. Das kam einem wie ein Geschenk vor.»
Als junger Erwachsener habe er für eine Reise Geld gebraucht und sei auf seine Bank: «Der Schalterbeamte hat streng geschaut und gesagt: ‹Da geht jetzt Geld weg.›» Das schien etwas Ungeheuerliches zu sein.
«Bankangestellte waren ehrlich, bescheiden, zurückhaltend paternalistisch. Der Personalchef einer Bank erzählte mir einmal, ein lokaler Bankdirektor sei in jenen Jahren mit einem Jaguar vorgefahren. Der wurde darauf angesprochen: ‹Was sollen die Leute denken?›»
Symbolfigur des Bankers in den 60er-Jahren: «Der Herr mit der schwarzen Melone»: Eine Kriminalkomödie mit Walter Roderer in der Hauptrolle. Der Plot geht so: Ein Bankangestellter verliebt sich in eine Millionärstochter, ist aber nicht standesgemäss. Er kündigt, klaut der Bank drei Millionen, rettet durch Wendungen des Schicksals und des Drehbuchs die Welt und die Schweiz, wird ein Held, die Millionärstochter verliebt sich in ihn, er gibt das Geld zurück und alle leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
Image des Bankers in den 60er-Jahren: Graue Maus, rechtschaffen, langweilig: ein Bank-Beamter.
Slogan des Jahrzehnts: Sparen ist besser als ausgeben.
Die 70er-Jahre: Petrodollars, Fluchtgelder und ein Fiasko
In den 70er-Jahren kommen Petrodollars der erdölfördernden Länder OPEC auf den Geldmarkt. In Afrika werden Staaten unabhängig, Fluchtgelder werden ausser Landes geschafft, schmutziges Geld soll gewaschen werden. Mäder sagt, «ein markanter Einschnitt war Chiasso».
14. April 1977. Die «Neue Zürcher Zeitung» titelt: «Fiasko von Chiasso». Im Artikel heisst es: «Bei einer Filiale der Schweizer Kreditanstalt in Chiasso ist es zu Unregelmässigkeiten und einem Verlust von 250 Millionen gekommen.»
Der Tessiner Staatsanwalt Paolo Bernasconi ermittelt gegen vier Bankiers: gegen Elbio Gada, Ernst Kuhrmeier, Claudio Laffranchi und Alfredo Noseda. Millionen seien verschoben worden aus zum Teil dubiosen Quellen. Gelder tauchen in Liechtenstein ab und irgendwo wieder auf. Manche Million bleibt verschwunden. Am Schluss ist der Schaden immens: 1,4 Milliarden.
Symbolfigur des Bankers in den 70er-Jahren: Die Banker aus Chiasso.
Image des Bankers in den 70er-Jahren: Die «Basler Zeitung» schreibt damals vom «Knacks im Image». Es gibt schwarze und weisse Schafe. Klärungsbedarf besteht über Schwarz- und Fluchtgeld sowie über Geldwäsche.
Slogan des Jahrzehnts und die Konsequenzen: Nationalbankpräsident Fritz Leutwiler sagte zur Chiasso-Affäre: «Eine Zeitbombe, die an den Grenzen schon vor 1977 zu ticken begonnen hatte, war explodiert. Es musste gehandelt werden.» Die Folge: Nationalbank und die Bankiervereinigung erarbeiten einen Kodex zur Rettung des guten Rufs des Finanzplatzes. Mitte 1977 tritt die «Vereinbarung über die Sorgfaltspflicht bei der Entgegennahme von Geldern und die Handhabung des Bankgeheimnisses (VSB)» in Kraft.
Die 80er-Jahre: Die frühe Phase der Deregulierung und «Wall Street»
Ronald Reagans Amtszeit ist geprägt vom Wirtschaftssystem des Neoliberalismus. In Amerika werden die Märkte dereguliert, das heisst: Vorschriften werden gelockert. Reagan privatisiert staatliche Firmen wie Fluglinien, um den Wettbewerb, Investments und die Expansion als Wirtschaftsmotor zu fördern.
Symbolfigur des Bankers in den 80er-Jahren: Im Film «Wall Street» spielt Michael Douglas eine fiktive Figur, Gordon Gecko. Der ist kein Banker, er ist Raider. Raider sind Spekulanten, die versuchen, durch Aktienkäufe die Mehrheit an einem Unternehmen zu übernehmen: unfreundliche Übernahmen. Dazu brauchen sie immer wieder schnelles Geld von Banken.
Eindrücklichstes Bild: Gecko handelt gerade Millionenbeträge, raucht Kette und misst gleichzeitig seinen Blutdruck, als wolle der Regisseur Oliver Stone sagen: Das System ist und macht krank, achtet aber drauf, nicht komplett aus der Bahn zu fliegen.
Gecko spekuliert auf steigende Kurse. Und benutzt dazu sogenannte Insiderinformationen aus Firmen, also geheime Interna aus Unternehmen, die nach Bekanntwerden den Kurs in die Höhe treiben. Er kauft immer, bevor die Interna bekannt werden. Das ist alles so verboten wie lukrativ.
Das waren Cliquen, die man machen liess, solange es gut ging. Wenn’s schief ging, waren Milliarden verzockt.
Um den Kurs noch weiter in die Höhe zu treiben, steckt er den Händlern von Banken einen «todsicheren Tipp». Da die Händler in jener Zeit mit Boni für Transaktionen belohnt werden, arbeiten sie nicht mehr nur im Interesse der Kunden, sondern auch im eigenen.
Florian Wettstein, Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen sagt: «In den 80er-Jahren laufen Investment-Banken dem ‹traditionellen› Banking den Rang ab. Spekulation ist das Gebot der Stunde. Das Trading setzte immer grössere Berge von Geld um und die Traders profitierten direkt davon. Neue Bonussysteme dieser Zeit ermöglichten, dass die Stars unter den Tradern sogar mehr verdienen konnten als ihr CEO. Damit begannen sich auch die Machtverhältnisse innerhalb der Banken zu verschieben. Das waren Cliquen, abgeschottete Zirkel, die man machen liess, solange es gut ging. Wenn’s schief ging, waren Milliarden verzockt.»
Fragt man ihn, welchen Einfluss das auf die Ethik der Händler gehabt habe, ist die Antwort knapp: «Keinen guten. Das wirkte sich noch kompetitiver auf die Händler aus.» Der Fokus war zunehmend auf die eigene Brieftasche gerichtet und nicht mehr auf diejenige des Kunden. «Wall Street» zeigt das in den Grossraumbüros der Händler. Sie sind die Umsatzkönige in jenen Jahren und die Bonusritter.
Image des Bankers in den 80er-Jahren: Paradiesvogel statt graue Maus, denkt an den Kunden und an sich. Macht sich manikürte Hände schmutzig.
Slogan des Jahrzehnts: «Gier ist gut!» sagt Gordon Gecko in «Wall Street». Kunden, Banken, Händler – alle sind gierig. Die Gier ist noch lange nicht am Ende.
Die 90er-Jahre: Noch mehr Deregulierung und die Dotcom-Blase
Der Eiserne Vorhang fällt. Neue Märkte, neue Investments. Die Clinton-Administration dereguliert weiter. 1999 hebt sie die gesetzliche Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken auf. Banken können in ganz grossem Ausmass spekulieren.
Symbolfigur des Bankers in den 90er-Jahren: Keine Symbolfiguren. Es ist, als ob sich ein undurchschaubares, menschenleeres System in Gang setzt. Auffällig ist die Sprache jener Jahre: Da ist die Rede von «die Börse», «die Märkte», «die Teppichetage». Sprachlich eine Melange aus Generalisierung, aus Personalisierung von Dingen und entpersönlichter Anonymisierung. Ein «Etwas» arbeitet.
Image des Bankers in den 90er-Jahren: Banker bekommen in den 90er-Jahren ein noch schlechteres Image. Sie seien gierig und hätten nicht rechtzeitig gewarnt vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Andererseits: Wenn keine gierigen Hälse da sind, gibt es auch nichts zu stopfen. Wären weniger Kunden derart spekulationsbereit gewesen, wären weniger riskante Geschäfte zustande gekommen. Aber das wollte niemand hören. Die 90er-Jahre sind der systemrelevante Vorlauf für die Immobilienkrise.
Slogan des Jahrzehnts: «Bei uns muss ihr Geld arbeiten», war der Slogan einer Schweizer Bank. Mit diesem Slogan geht ein kultureller Wandel einher. Wer bis in die 90er-Jahre mit ehrlicher Hände Arbeit reich werden wollte, der wurde jetzt für verrückt erklärt. Das lag nicht nur an der Bank, sondern am Zeitgeist.
Irgendwann wusste man nicht mehr, was man besitzt und worum es sich dabei konkret handelt.
Der Zeitgeist hiess: Geld arbeite aus sich heraus in Form von Aktien und erziele traumhafte Gewinne. «Der Typus Kunde hat sich markant verändert», sagt Ueli Mäder, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Basel. Normalbürger begannen zu spekulieren, machten Erspartes flüssig, schauten Börsensendungen. «Einzelne taten das auch aus dem OP», sagt Mäder.
Investiert wurde ab Mitte der 90er-Jahre in Startups aus der schnellen Internetbranche. Schlagwort: Dotcom. Auch das Trading selbst wurde immer schneller, immer virtueller. Der nächste Schritt war das «High Frequency Trading»: «Handel in Sekundenbruchteilen. Es ging um ‹arbitrage›, um kleinste Preisunterschiede in Währungen, Optionen oder Aktien. Und es ging um kleinste Zeitfenster, um Schwankungen auszunutzen», erklärt Florian Wettstein. «Das war extrem volatil. Riesige Mengen von Aktien wurden mit geringen Margen in Sekundenschnelle gekauft und weiterverkauft, wo vielleicht nur ein Cent mehr zu erhalten war. Aber die ungeheuren Mengen machten es dann aus. Da war kein Platz für menschliche oder soziale Erwägungen. Es wurde immer kompetitiver.»
Dieser kulturelle Wandel sei fast entscheidender als der Strukturelle, sagt Wettstein: «In den 50er-Jahren war Bankier noch ein Beruf wie Professor, Anwalt, Arzt. Die taten, was gut für uns ist. Mit dem Neoliberalismus wird diese Annahme ersetzt durch ein Professionsverständnis, das heisst: Was gut für mich als Banker ist, davon profitiert auch der Kunde. Irgendwann. Das ist der Kern der Veränderung.»
«Der Eigentumsbegriff erodiert in dieser Zeit», sagt Mäder: «Irgendwann wusste man nicht mehr, was man besitzt und worum es sich dabei konkret handelt.»
Am 10. März 2000 war die Party vorbei, die Dotcom-Aktien im freien Fall. Erspartes war weg. Pensionskassen gingen in die Knie.
2000er-Jahre: Die Immobilienblase und Lehman
Während der Amtszeit von George W. Bush gestattet die US-Wertpapieraufsicht im Jahr 2004 allen Investmentbanken, ihre Geschäfte vollständig auf Pump zu finanzieren. Damit steigt die Möglichkeit, grössere Risiken einzugehen und auch Geschäfte zu tätigen, die die Eigenkapitaldecke überstiegen. Für die Kunden hiess das, der Schutz ihrer Gelder wurde noch geringer.
Symbolfigur des Bankers in den 2000er-Jahren: In Filmen, die diese Jahre thematisieren, tauchen Banker als gesichtslose Masse auf. Ausnahme und Symbolfigur könnte Michael Burry sein, ein Fondsmanager, der das Platzen der Immobilienblase bereits 2005 prognostizierte. Christian Bale spielt diesen Burry im Film «The Big Short» als Freak mit Asperger-Syndrom.
Spekulationsobjekt waren in den 2000er-Jahren schlechte Hypotheken: sogenannte Subprimes. Die waren so schlecht, dass sie gebündelt und neu verpackt wurden, um zu verschleiern, wie schlecht der Inhalt war. Im Film «The Big Short», der eben genau diese Immobilienblase zum Thema hat, erklärt das jemand so: «Wir haben Hundescheisse in Katzenscheisse verpackt und keiner hat’s gemerkt.»
Burry schlägt den Banken vor, ein Papier zu entwickeln und zu verkaufen, das Verluste versichert. Eine Art Rückversicherung für den Crash, einen sogenannten Swap. Das machen die Banken. Burry kauft ab 2005 diese Rückversicherungen.
Salopp gesagt, wettet er auf den Untergang und prognostiziert ihn für das zweite Quartal 2007. Seine Prognose trifft ein, später als gedacht, aber sie trifft ein. Und sie manifestiert sich endgültig im September 2008 mit dem Zusammenbruch der Investment-Bank Lehman Brothers. Das Platzen der Immobilienblase und die anschliessende Banken- und Finanzkrise hat zur Folge, dass neue, strengere regulatorische Vorschriften in Kraft treten.
Image des Bankers in den 2000er-Jahren: Der Banker stehle sich aus der Verantwortung, heisst es in diesen Jahren – die Verantwortung werde an den Sachzwang oder an die Spielregeln delegiert.
Dies wird nicht nur den Bankern vorgeworfen, sondern auch Politikern. «Die Märkte erwarten das von uns», sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel 2007 auf einer Pressekonferenz. «Wer soll das sein – die Märkte?», fragen diejenigen Bankkunden, die immer noch davon ausgehen, dass Geschäfte von Menschen getätigt werden.
Slogan des Jahrzehnts: «Wenn wir es nicht machen, machen es die anderen.» Den Satz sagt die Leiterin einer Rating-Agentur im Film «The Big Short» auf die Frage hin, warum sie miserable Subprimes als das Beste vom Besten einstuft.
Die Zukunft
Madeleine Lim studierte in Zürich, arbeitete für Dow Jones und ist heute leitende Redaktorin der Nachrichtenagentur Bloomberg News. Fragt man sie, wohin die Reise des internationalen Bankwesens geht, dann sagt sie, dazu könne man unendlich viel sagen.
Aber zwei Dinge erscheinen besonders wichtig: «Betrachtet man die aktuelle weltpolitische und -wirtschaftliche Lage, dann erscheint vieles im Augenblick klärungsbedürftig. Investoren befragen die weltwirtschaftliche Rolle Chinas. Andere fragen, welche Rollen Trump und May in der nächsten Zeit zu spielen gedenken.
Die Rolle der Europäischen Zentralbank EZB ist im Fokus und der Aufschwung der Schwellenländer. Aber niemand fragt sich im Moment, ob man die Regulierungsvorschriften für Banken wieder lockern muss. Das fragen sich nur die Banken selber und einige Politiker. Das erstaunt umso mehr, als Banken derzeit satte Gewinne erzielen.» Denn wieso sollten Veränderungen nötig sein, solange das Geschäft läuft?
Die Roboterisierung des Bankwesens wird in den nächsten Jahren zunehmen.
Einen Trend sieht Wirtschaftsethiker Florian Wettstein in der voranschreitenden Anonymisierung des Bankensystems über die letzten 50 Jahre.
In den 60er-Jahren kannte man den Filialleiter mit Namen, und man wusste noch genau, welche wenigen, zumeist Schweizer Aktien man besass.
In heutigen Aktienportfolios befinden sich auch Aktien, bei denen die Besitzer die Firmen kaum kennen. Besitz ist anonymer geworden. Und auch Banken haben heute eine zumeist anonyme Grösse erreicht.
Die Anonymisierung werde weitergehen, sagt Madeleine Lim: «Die Roboterisierung des Bankwesens wird in den nächsten Jahren zunehmen. Kunden werden in Zukunft, basierend auf einem Kundenprofil, von einem Computerprogramm beraten werden. Das wird stark zunehmen», sagt Lim.
Dies wäre die eine Seite der Spirale. Auf der anderen Seite werden Banken noch immer von Menschen geführt und da sei mit Regeln weniger zu verändern, als mit Umdenken. Lim sagt: «Es braucht eine Veränderung im Denken. Was sich verändern muss, sind Werte und Firmenkultur der Banken, vor allem das Belohnungs- und Beförderungssystem.» Da seien die Manager gefragt, aber auch die Aufsichtsbehörden. Und natürlich auch die Investoren: «Das wären dann wir alle, durch unsere Pensionskassen. Aber das kann Jahre dauern.»