Wir Menschen können ganz gut ohne Krieg. Denn während der ersten 99 Prozent der menschlichen Evolution gab es ihn nicht. «Krieg ist eine ganz junge Erfindung. Aggression ist alt», sagt Archäologe Harald Meller, einer der Autoren des Buches «Die Evolution der Gewalt».
Seine Ko-Autoren sind der Historiker Kai Michel und der Primaten- und Verhaltensforscher Carel van Schaik.
Laut Historiker Kai Michel war die Menschheit während der riesigen Spanne von fast 2.5 Millionen Jahren hauptsächlich friedvoll. Wenn man heute also überall nur Kriege sieht, so muss man sich klarmachen: Eine sehr, sehr lange Zeit lang war es anders.
Make love, not war?
Carel van Schaik, Primaten- und Verhaltensforscher, hat unsere nächsten Verwandten im Blick, die kriegerischen Schimpansen und die versöhnlichen Bonobos, mit denen wir 99 Prozent unseres Erbguts teilen: «Seit der modernen Genetik wissen wir, dass wir genauso verwandt sind mit Schimpansen wie mit Bonobos.» Wir können also wählen. Und wir wählen gut: Meist ziehen wir unseren inneren, friedfertigeren Bonobo dem aggressiveren Schimpansen in uns vor, ganz nach dem Motto «Make love, not war».
Individuelle Aggression, also Hiebe, Bisse oder Totschlag, gab es schon immer – aber selten. Der Mensch war die längste Zeit in kleinen nomadischen Gruppen unterwegs, am Jagen und Sammeln.
Unsere Vorfahren teilten, wir besitzen
Man brauchte einander: «Historisch war der Weg zum Erfolg, grosszügig zu sein, zu teilen, etwas für die Gesellschaft zu machen», sagt Carel van Schaik.
Bis sich die ersten unserer Vorfahren vor 14’000 Jahren niederliessen und Vorräte ansammeln konnten. Kai Michel ordnet ein: «Es entstand eine komplett andere soziale Logik. Vorher galt: Teilen macht reich. Jetzt gilt: Anhäufen macht reich.»
Das Eigentum war erfunden. Wer hat, will mehr. Wer sehr viel hat, regiert. Damit sind wir beim einen, letzten Prozent der Menschheitsgeschichte angekommen, bei den sogenannten Hochkulturen: Die wenigen, die viel hatten, brachten den Krieg in die Welt.
Nur 5000 Jahre ist das jetzt her. Weil erst seit damals Schriftquellen existieren, denkt der Mensch, er sei schon immer so gewesen. «Das ist die Zeit der Staaten, in denen Krieg schon die Normalität war. Deshalb sehen wir, wenn wir in Schriftquellen schauen, überall und immerzu nur kriegerische Zeiten», meint Kai Michel.
Aufruf zur Umkehr
Doch es gab sie, die krieglose Zeit der Menschheitsgeschichte, die 99 Prozent davor. Erst seit es Machteliten gäbe, wäre Krieg endemisch geworden, so van Schaik: «Das war mir vorher nie so klar. Wir können anders.»
Diese Sicht auf unsere eigene Art erleichtert. Zugleich verpflichtet sie zum Ausgleich, so das Fazit der drei Autoren.
Die Hauptzutaten für ein neues Zeitalter des Friedens seien Demokratisierung und Gleichberechtigung, so Kai Michel. Vor allem aber auch die Reduzierung der gewaltigen sozialen Ungleichheit auf der Welt. Denn die Geschichte zeigt: Krieg basiert auf Ungerechtigkeit. Er wird von den Mächtigen geführt, die sich damit die eigenen Privilegien sichern.
Das Buch «Evolution der Gewalt» ist also auch ein Aufruf zur Emanzipation: Wir müssen die Selbstzuschreibung des Menschen als kriegerisches Tier ablegen. Und Mut zum Frieden entwickeln.