- In Barcelona gibt es derzeit gut ein Dutzend gastronomischer Geheimgesellschaften: sogenannte Koch-Klubs.
- Dank Mund-zu-Mund-Propaganda und Internetempfehlungen sind diese Gastro-Klubs fast immer ausgebucht: Vorher reservieren!
- Die Köche können von ihren privaten Koch-Klubs gut leben, da diese anders besteuert werden als herkömmliche Restaurants.
Die Adresse verrät Angela Vinent am Telefon: Carrer Joan d'Austria 95, mitten in Barcelonas ehemaligem Arbeiterviertel Poblenou. Vor dem anonymen 1960er-Jahre-Bau macht kein Schild aufmerksam auf das Restaurant La Contrasenya . «Klingeln und das Passwort nennen», hatte Vinent gesagt.
Auf ein in die Gegensprechanlage geflüstertes «Caprese» öffnet sich die Haustür, ein Lastenaufzug rumpelt ins Dachgeschoss. Dort steht, die Arme lachend in die Hüfte gestützt, eine quirlige Mittsechzigerin: «Benvingut!», «Willkommen!»
Essen und Kunst
Vinent hat über 30 Jahre als Journalistin gearbeitet, bevor sie sich während der Medienkrise zur Köchin umschulte und in ihrem Atelier einen Kochclub eröffnete.
In London hatte sie ein paar Mal in einem solchen Klub gespeist, bei einem Musiker, und war begeistert: «Malen und Kochen waren schon immer meine grosse Leidenschaft, da lag es nahe, beides zusammen zu bringen», sagt sie, während sie Schnittlauch hackt. «Für beides braucht man ein Gespür für Farbe, Freude am Kombinieren, Ausprobieren – und Fantasie!»
Menüs für Erlebnishungrige
An fünf Tagen die Woche sitzen abends acht bis zwölf Gäste zwischen den grossformatigen Acrylbildern und geniessen ein wöchentlich wechselndes Menü.
Heute auf der Speisekarte: ein süditalienisch inspirierter Salat mit frischem Mozzarella, Lachs-Sashimi eine kalte Mandel-Birnen-Suppe, Entenravioli und Langusten für 25 Euro pro Person, zuzüglich Getränke.
Dank Mund-zu-Mund-Propaganda und Internetempfehlungen ist das Atelier-Restaurant fast immer ausgebucht. Barcelonas Gourmetszene ist erlebnishungrig, da kommen solche Offerten gerade Recht. Ein gut Dutzend gastronomischer Geheimgesellschaften gibt es inzwischen, jede mit ihrem eigenem Stil.
Unbekannte an einem Tisch
Im Szeneviertel Raval veranstaltet Alfonso de la Mota Koch-Happenings im Hinterzimmer seiner Bar Never More . Im Tast-Ller in der Altstadt überrascht Chef Mikel Peinador mit kunstvoll «gemalten» Desserts. Und im Santa Rita , nahe des Ciutadella-Parks, serviert Xabi Bonilla mehrgängige Degustationsmenüs, für etwa 50 Euro pro Person.
Im Loft des Profi-Kochs Bonilla teilen sich oft Unbekannte einen Tisch und kommen so miteinander ins Gespräch. «Da entsteht dann eine ganz besondere Energie», sagt er, während er einen Linsen-Curry-Nachtisch in den Ofen schiebt.
Hinterzimmer statt Sterne-Restaurant
Bonilla hat jahrelang in Michelin-Sterne-gekrönten Restaurants gearbeitet und irgendwann keine Lust mehr auf den ständigen Konkurrenzdruck, die langen Arbeitszeiten. «Hier macht mir das Kochen wieder Spass!» Da die Koch-Klubs als Gesellschaften anders besteuert werden als Restaurants, kann er gut davon leben.
Spiel mit Erwartungen
Bei Angela Vinent sind die Gäste inzwischen angekommen. Acht Enddreissiger feiern den Junggesellenabschied eines Freundes.
«Ich hätte nie erwartet, in diesem Viertel so ein originelles Restaurant zu finden – mit angenehmer, familiärer Atmosphäre», sagt Bräutigam Oriol und gibt zu, beim Nennen des Passworts zunächst alle möglichen Peinlichkeiten befürchtet zu haben. Die Freunde lachen. Das Spiel mit Erwartungen gehört dazu, beim Junggesellenabschied ebenso wie bei gastronomischen Geheimclubs.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 28.7.2016, 17:22 Uhr.