«Salomons Tempel» steht mitten in der brasilianischen Megacity São Paulo. Der Sakralbau ist allerdings dreimal so gross wie sein biblisches Vorbild, verfügt über eigene TV-und Radiostudios und einen Hubschrauberlandeplatz.
Eigentümer ist Brasiliens einflussreiche evangelikale «Universalkirche des Königreiches Gottes», die «Igreija Universal do Reino de Deus».
Bei der Eröffnung Ende Januar kamen 10.000 Menschen – darunter Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, selbst keine Anhängerin der Pfingstkirche. Doch ihre potentiellen Wähler sehr wohl.
Im grössten katholisch geprägten Land der Welt bekennt sich inzwischen fast jeder vierte Brasilianer zu einer solchen Pfingstkirche.
Vom Altar ins Parlament
Evangelikale Kirchenführer beziehen längst nicht mehr nur in ihren Gemeinden und in den Medien Position. Sie haben mittlerweile auch eine starke politische Vertretung. Seit 1990 ist die sogenannte «Bancada Evangélica», die evangelikale Fraktion im brasilianischen Kongress von 30 auf über 70 Abgeordnete angewachsen. Quer durch alle Parteien kann die Unterstützung auf bis zu 200 Abgeordnete ansteigen. Das sind 40 Prozent der Kammer.
Sendebeiträge
- «Marina Silva weckt Hoffnungen», Echo der Zeit, 20.8.2014 «Marina Silva weckt Hoffnungen», Echo der Zeit, 20.8.2014
- «Gottes neue Armee», Sternstunde Religion, 22.10.2006 «Gottes neue Armee», Sternstunde Religion, 22.10.2006
- «Pfingstkirchen auf dem Vormarsch?», Blickpunkt, 22.6.2014 «Pfingstkirchen auf dem Vormarsch?», Blickpunkt, 22.6.2014
Für viele ist dieser Block zum Synonym für eine Blockade gesellschaftlicher Modernisierung geworden. Abtreibung, Gleichstellung von Homosexuellen, Stärkung von Frauenrechten. Entsprechende Gesetzesprojekte wurden in den letzten Jahren immer wieder boykottiert. Zudem verteidigt die evangelikale Fraktion die materiellen Interessen der Kirchen. Diese sind wegen ihrer enormen Spenden-Einnahmen unglaublich reich – zahlen aber keinen Centavo Steuern.
Dilmas evangelikale Herausforderin
Brasilien wählt am 5. Oktober. Im aktuellen Wahlkampf könnte der Faktor Religion eine Rolle spielen. Marina Silva ist Anhängerin der grössten Pfingstkirche Brasiliens, der «Versammlung Gottes» (Asambleia de Deus). Silva tritt anstelle des verunglückten Eduardo Campos als Präsidentschaftskandidatin der sozialistischen Partei PSB an.
Nach jüngsten Umfragen könnte Silva in einer möglichen Stichwahl gegen die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff, selbst bekennende Atheistin, einen Sieg erringen. Das Image der Arbeiterpartei ist nach Klüngel und Korruptionsskandalen getrübt. Die Wirtschaft des Landes schwächelt. Seit den Protesten vom Juli 2013 ist die Unzufriedenheit der Brasilianer mit der politischen Klasse gewachsen. Silva dagegen steht für Erneuerung.
Ihre eigene Biographie sorgt für Identifikation und Glaubwürdigkeit. Die Tochter eines einfachen Kautschukbauern war Dienstmädchen. Sie ging erst mit 16 zur Schule. Und lernte spät Lesen und Schreiben.
Der politische Spagat der Marina Silva
Allerdings muss Silva im Wahlkampf eine Art Spagat hinlegen. Denn ebenso zu ihrem Zielpublikum zählt ein fortschrittlich denkendes Bürgertum sowie Studenten, die gesellschaftliche Reformen fordern.
So versucht sie kritische Punkte wie Abtreibung oder Homoehe zu umgehen, indem sie sich für eine Volksabstimmung aussprach.
Stets hat sich die evangelikale Marina Silva für die strikte Trennung von Politik und Religion ausgesprochen. Dennoch ist ihr Glauben ein Stimmenfang, gerade bei den ärmeren Bevölkerungsschichten – eigentlich traditionelle Wählerschaft der Arbeiterpartei.