«Unsere Erfahrungen mit den Flüchtlingen sind positiv», schwärmt Schwester Nadja Bühlmann. Klar, sie sieht es als christliche Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Diese Pflicht erfüllt sie mit Freude. Die studierte Juristin ist die Ansprechperson des Klosters für die Flüchtlinge. Die Nachrichten von ertrinkenden Migranten im Mittelmeer erträgt sie kaum mehr, sie leidet unter ihrer eigenen Ohnmacht.
Platz für zwei Familien
Die Idee, Asylsuchende aufzunehmen, hatten mehrere Schwestern gleichzeitig. Zwei Familien aus Syrien mit sieben und fünf Kindern leben seit Anfang Jahr im Gästehaus des Klosters im luzernischen Baldegg. Das Haus ist räumlich getrennt vom Kloster. Die Miete bezahlt die Caritas. Das Hilfswerk betreut die Flüchtlinge im Auftrag des Kantons.
Das Exil schweisst die Familien zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Sie haben sich in Syrien nicht gekannt. Was sie aber verbindet: Sie sind Kurden und Muslime. Muslime in einem katholischen Kloster.
Das klingt für die einen unmöglich, ist aber für die Klosterfrauen kein Problem. Schwester Nadja: «Die Flüchtlinge haben bei der ersten Führung durchs Kloster gesagt: ‹Aha, ihr betet mehrere Male am Tag, genau wie wir, das verbindet uns.›» In Syrien haben die muslimischen Flüchtlinge ganz selbstverständlich mit Christen zusammengelebt. Die Familien wurden dem Kloster zugeteilt. «Wir hätten auch eine Gruppe junger Männern aus Eritrea aufgenommen», sagt Schwester Nadja und sitzt dabei kerzengerade.
«Wir sind dankbar»
Auf die Frage nach den Fluchtgründen senken die Frauen den Blick. Die Atmosphäre wird spürbar schwer. Die Männer reden, Wortfetzen. Diktatur. Bespitzelung. Krieg. Schikanen. Hass. Unterdrückte Minderheit. Der Militärdienst in Syrien ende für Kurden oft tödlich.
Die syrische Polizei verunmöglicht dem jungen Familienvater jahrelang die Arbeit als Fotograf, konfisziert seine Ausrüstung. «Wir sind dankbar und glücklich, dass wir hier sein dürfen», übersetzt der Dolmetscher mit Blick zu Schwester Nadja.
Gleichzeitig wird spürbar: Es bricht den Eltern beinahe das Herz, wenn sie an ihre Heimat Syrien denken. Ob sie je wirklich hier ankommen werden? Die Kinder scheinen diese Fragen nicht zu beschäftigen. Sie besuchen den Kindergarten oder die Schule. Die Schweiz – in Sachen Integration «Top of Europe». Der 10-jährige Ahmed hat im Asylzentrum, der ersten Station in der Schweiz, nach drei Wochen für die Familie in die deutsche Sprache übersetzt.
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Widerstand im St. Gallischen Amden
Es läuft super in Baldegg. Die Schwestern haben alles mit Augenmass eingefädelt, einen runden Tisch mit Behördenvertretern, Sozialarbeitern und Integrationsfachleuten einberufen. Ein eisiger Wind weht ihnen hingegen in Amden im Kanton St. Gallen entgegen. Hier hat das Kloster Baldegg ein Kurhaus.
Mit der «Bergruh» – so der Name des Hauses in Amden – ist es dort vorbei. Die Schwestern plagt akuter Personalmangel – kein Neueintritt seit 20 Jahren. Sie vermieten das Gebäude dem Kanton ab dem nächsten Jahr als Asylunterkunft. Massiver Widerstand regt sich. Befürworter stemmen sich gegen die Bedenken der Kritiker.
Schwester Zita Estermann, ihres Zeichens Generaloberin, versteht die Ängste und den Widerstand. Sie lässt sich aber nicht beirren: «Wir halten an dem Entscheid fest, wir haben einen Mietvertrag, die Verhandlungen laufen jetzt zwischen Kanton und Gemeinde Amden, man hat einige Konzessionen gemacht.»
Sind Christen verpflichtet, Flüchtlingen zu helfen? Schwester Zita schmunzelt: «Eigentlich erwarte ich das von allen Menschen, nicht nur von den Christen.»