Sie sind aus dem städtischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Menschen tragen sie unterwegs im öffentlichen Verkehr, im Fitnessstudio, während des Joggens oder verbotenerweise auch auf Fahrrädern: Die Kopfhörer. Auffällig sind die grossen Muschelkopfhörer, die häufig in knalligen Farben die Köpfe junger Menschen schmücken. Unauffällig hingegen sind die kleinen Stöpsel, die in den Ohren stecken. In der Öffentlichkeit bewegen sich immer mehr Menschen mit diesem modernen Kopfschmuck.
Die Wahrnehmung beeinflussen
Mit dem Aufkommen des Walkmans in den 80er-Jahren schafften die Kopfhörer den Durchbruch. Heute haben sie sich vom Gebrauchsgegenstand hin zum modischen Accessoire gewandelt – was auch mit den immer günstigeren und kleineren MP3-Playern und Smartphones zu tun hat.
Aber das Musikhören unterwegs ist noch mehr. Es ermöglicht uns nicht nur den eigenen Soundtrack zusammenzustellen und stets dabei zu haben, sondern es ist eine Kulturtechnik, die die persönliche Wahrnehmung der Welt beeinflusst.
Doch wieso wollen Menschen von Musik begleitet werden? Sie wirkt beruhigend, wenn der Vater dem Kind ein Schlaflied singt; sie aktiviert, wenn wir schnelle Rhythmen während körperlicher Aktivitäten hören. Melodien beeinflussen das vegetative Nervensystem und unsere Gefühle. Sie bringen uns zum Lachen, Weinen, Nachdenken, Träumen und lassen uns in Erinnerungen schwelgen. Musik hat Kraft.
Keine soziale Abwehrfunktion
Wollen sich Menschen mit portabler Musik im Ohr von der Realität abgrenzen? Stefan Niklas bezeichnet dies in seinem Buch «Die Kopfhörerin: Mobiles Musikhören als ästhetische Erfahrung» als einen Mythos. «Das Kopfhören auf den Aspekt der sozialen Abwehrfunktion zu reduzieren oder sogar als sozial-interaktive Verkümmerung zu übertreiben, kann sich jedenfalls nicht auf eine ernsthafte Beschreibung, sondern lediglich auf Vorurteile stützen», schreibt der Kulturphilosoph. Kopfhören sei Ausdruck eines historisch entstandenen Bedürfnisses nach Musik im Alltag, das so schnell nicht wieder verschwinden werde.
Musik lässt uns in die eigene Welt abtauchen. Sie verwandelt die langweilige Tramfahrt in eine Filmsequenz mit persönlichem Soundtrack. Der Ohrwurm der letzten Strandferien erinnert uns an das Rauschen des Meeres und den salzigen Geschmack auf der Haut. Der Alltag ist für einen Augenblick vergessen. Anderseits überhören wir (gewollt oder ungewollt) die Frage eines Mitmenschen, ihm beim Ausstieg aus dem Tram zu helfen.
Der persönliche Soundtrack ist ein Phänomen unserer wachsenden Individualität, der die Geräuschkulisse der Natur übertönt: die singenden Vögel, die rauschenden Flüsse, die manchmal belanglosen, manchmal interessanten Gespräche unserer Mitmenschen oder einfach die Stille, die uns unseren eigenen Atem hören lässt. Dieser Soundtrack der Natur ist so vielseitig wie jede von uns zusammengestellte Playlist, der sich aber nicht auf Knopfdruck abrufen lässt.