Olivier Kugler ist einer, der die Menschen mag und sich ehrlich für deren Schicksale interessiert. Das spricht aus jedem seiner Bilder. Da ist beispielsweise das Portrait von Habib, einem 38-jährigen Kurden, der in Damaskus gelebt hat.
Geflohen vor dem Krieg in Syrien, ist er im Flüchtlingslager «Domiz» im Nordirak gestrandet. Dort hat er sich eine kleine Existenz aufgebaut: Er betreibt eine Werkstatt, wo er Fernseher und Radios repariert. Habib sei ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Menschen in solchen Flüchtlingslagern irgendwie durchschlagen, sagt Olivier Kugler.
Eine Art Normalität
Was ihn überrascht hat: «Viele Flüchtlinge haben ihre eigenen Läden: Ein Friseur aus Aleppo hat im Flüchtlingslager seinen Friseurladen. Sehr viele Frauen betrieben im Lager Schönheitssalons. Ich hatte mir eher vorgestellt, dass die Leute darauf warten, bis sie Hilfe bekommen. Aber sie sind sehr selbständig und nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand.»
So prekär und unsicher die Situation für die Menschen im Lager «Domiz» auch ist – jeder versucht, sich irgendwie über Wasser zu halten und eine Art von «normalem Leben» zu führen, so gut es eben geht:
«Es ist wie eine Stadt: Innerhalb von zwei oder drei Jahren ist die Bevölkerungszahl im Flüchtlingslager auf 55'000 angestiegen», sagt Kugler. «Die Leute kommen und leben zuerst in Zelten. Die Leute, die schon länger da sind, kaufen sich Baumaterial und bauen sich kleine Häuser. Das Leben geht weiter.»
Zum Beispiel Habib
Zeichner-Reporter Olivier Kugler hat grossen Respekt vor Menschen wie Habib, dem Radio- und Fernseh-Reparateur: «Er hat mir erzählt, er habe schon immer gerne gebastelt und gezeichnet, und er macht auch Musik. Er arbeitet den ganzen Tag in seiner Werkstatt, repapiert die Fernseher und verdient auch Geld damit. Und verschenkt er auch manche Fernseher an Leute, von denen er weiss, die haben kein Geld.»
Das Portrait Habibs zeigt ihn in seiner improvisierten Werkstatt, umgeben von Radio- und Fernseh-Bestandteilen und seinem Werkzeug. Der Mann scheint ganz vertieft in seine Arbeit. Aus den Texten, die der Zeichner in das Bild einfügt, erfahren wir seine Geschichte. Andere der Portraits aus der Serie sind noch vielschichtiger: Sie zeigen die Porträtierten gleich mehrfach, in verschiedenen Situationen. In einer Art Collage ergibt sich so jeweils ein sehr vielseitiges Bild.
Das Grauen vor Augen
«Ich kann mich jetzt viel besser in die Situation der Menschen hineinversetzen. Ich habe Zeit mit ihnen verbracht, ich habe mit ihnen gegessen. Wenn ich jetzt höre, dass wieder acht Flüchtlinge ertrunken sind auf der Fahrt im Mittelmeer, habe ich nicht die Zahl, sondern die Flüchtlinge, die ich kennen gelernt habe, vor meinen Augen. Und ich denke: Die könnten jetzt tot sein.»
Olivier Kuglers Arbeiten zeigen das Schicksal von Flüchtlingen ganz konkret und sehr persönlich – ohne dabei voyeuristisch zu sein. Ganz selbstverständlich und unaufdringlich überträgt der Zeichner-Reporter seine Sicht der Menschen und ihrer Situation auf den Betrachter. Und das ist sehr berührend.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 11.12.2015, 17:15 Uhr