Egal, wohin Sarah Harrison auch geht, ihr Rollköfferchen zieht sie stets hinter sich her. Durch alle Gänge, durch jeden Raum des GDIs, des Gottlieb Duttweiler Instituts, wo Harrison zu Gast ist am Europäischen Trendtag. Ihr treuer Begleiter bleibt keinen Augenblick lang unbeobachtet.
Harrison, die Misstrauische
Man fragt sich unweigerlich: Was verbirgt die 33-jährige investigative Journalistin darin? Ein Handy wohl kaum. «Ich habe keins», erklärt sie mit einem Lächeln. Schliesslich können Anrufe abgehört werden. Geheimdiensten private Daten liefern? No way.
Die Britin weiss nur zu gut, wie konsequent man sich in der heutigen Welt – real und digital – bewegen sollte, um seine Privatsphäre zu schützen. Sie ist die engste Vertraute von Julian Assange, dem Mitgründer der Enthüllungs-Website Wikileaks. 2012 rettete er sich in die ecuadorianische Botschaft in London und lebt seither hinter Mauern.
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Harrison, die Mutige
Ebenfalls hat die smarte Britin den berühmten Whistleblower Edward Snowden auf seiner Flucht aus Hongkong begleitet. 39 Tage lang stand sie ihm auf dem Moskauer Flughafen zur Seite, wo die beiden gestrandet waren. Sie verschaffte ihm ein Visum für Russland.
Snowden enthüllte Mitte 2013, wie flächendeckend die USA und Grossbritannien die Telefone und das Internet von Bürgern überwachen. Mit der Begründung, so terroristischen Anschlägen vorzubeugen. Für Harrison ein No-Go. Nicht Sicherheit, sondern Kontrolle stehe bei diesen Aktionen im Vordergrund. Harrison: «Es sind unsere Daten, unsere Informationen, es ist unsere Geschichte. Wir müssen darum kämpfen, dass all das uns gehört.»
Harrison, die Waghalsige
Engagiert und couragiert hat sich Wikileaks‘ Nummer zwei auch am GDI-Tag in Rüschlikon gezeigt. Wenn Harrison spricht, dann mit Verve, ohne Punkt und Komma. Journalistinnen und Journalisten verschiedener Medien hatten eine halbe Stunde Zeit, dem Gast Fragen zu stellen. Wir wollten wissen, was Harrison davon hält, dass nach den Anschlägen in Paris und Kopenhagen der Ruf nach Sicherheit und damit mehr Überwachung wieder laut geworden ist.
Ihre Antwort ist gewagt: «Ich glaube, die Anschläge sind mit denen vom 11. September 2001 zu vergleichen. Für gewisse Mitglieder der Geheimdienste war dies damals das Beste, was passieren konnte, denn es rechtfertigte ihr Tun.»
Die Täter, die am Attentat in Paris beteiligt waren, seien den französischen Behörden bekannt gewesen und überwacht worden. Das Attentat habe trotzdem nicht verhindert werden können. Die Forderung nach mehr Überwachung sei also unlogisch.
«Was dann passierte, war reine PR», sagt Harrison weiter. «Die Politiker skandierten ‹Je suis Charlie›, um zu demonstrieren: ‹Ja, wir unterstützen Meinungsfreiheit, ja, wir unterstützen Pressefreiheit. Aber um diese Freiheit zu behalten, müssen wir eben ein paar Rechte beschneiden›. Das bedeutet aber auch, dass Journalisten ihre Quellen nicht mehr schützen können. Also nichts mit Pressefreiheit.»
Natürlich wolle niemand diese Terroranschläge, so Harrison. Nur hätten die meisten Leute keine Zeit zu hinterfragen. Aber erst, wenn man hinterfrage, offenbare sich die Realität.
Harrison, die Kämpferin
Sarah Harrison nimmt sich Zeit zu hinterfragen, vor allem das System. Mit ihren Aktivitäten ist sie ins Visier der Mächtigen geraten. In ihr Heimatland Grossbritannien kehrt sie vorerst nicht zurück. Zu gross sei das Risiko, an der Grenze festgehalten zu werden. Dann hätte sie damit zu rechnen, Informationen preisgeben zu müssen, oder auf einer Terrorliste zu landen.
Harrison lebt in Berlin, pflegt Kontakt mit ihrem Kollegen Assange und mit Snowden, der sich nach wie vor in Russland versteckt. Bewacht von Sicherheitsleuten, die durch Spenden finanziert werden.
Eben erst hat Snowden seinen Wunsch öffentlich bekundet, in der Schweiz zu leben. 2013, als er und Harrison auf dem Moskauer Flughafen festsassen, hätten sie für den ehemaligen NSA-Mitarbeiter 21 Asylanträge in die Welt verschickt. Unter anderem auch in die Schweiz. Doch die Schweiz habe behauptet, nie einen Antrag bekommen zu haben. Harrison: «Die Schweiz hat sich weisser als weiss gezeigt.»