Angenommen, zwei Frauen bewerben sich auf dieselbe Stelle. Sie schreiben die gleiche Bewerbung und haben die exakt gleichen Qualifikationen. Einziger Unterschied: Der Name. Die eine Frau heisst Fabienne Kälin, die andere Frau heisst Shpresa Krasniqi.
Forschende haben genau dieses Experiment gemacht und fiktive Bewerbungsmappen verschickt. Das Resultat ist deutlich: Fabienne Kälin hat die besseren Chancen, zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.
«Das Vorstellungsgespräch ist nur die erste Hürde bis zu einer tatsächlichen Einstellung – aber schon da gibt es eine eindeutige Benachteiligung. Wer etwa einen albanisch klingenden Namen hat, muss bei gleicher Qualifikation 30 Prozent mehr Bewerbungen schreiben, bis es klappt», erklärt Denise Efionayi.
Die Soziologin ist Vizedirektorin am Schweizerischen Forum für Migrationsstudien an der Universität Neuchâtel. Sie hat die Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz geleitet.
Wer bekommt die Wohnung?
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Bewerbungen für die Wohnungssuche. Im Rahmen eines Feldexperimentes verschickten Forscher und Forscherinnen erfundene Anfragen für Wohnungsbesichtigungen. Der Text der Anfrage war immer derselbe, aber jeweils mit einem anderen Namen versehen.
Auch hier zeigte sich: Ein Manuel oder eine Stefanie wird deutlich häufiger zur Wohnungsbesichtigung eingeladen als ein Ardit oder eine Dragana. Das gilt auch dann, wenn beide einen Schweizer Pass besitzen.
Was auffällt: Menschen mit Namen aus Nachbarländern werden nicht benachteiligt, auch wenn sie nur einen C-Ausweis und keinen Pass haben. «Rassismus wird häufig mit Migration vermischt. Dabei kann Rassismus ganz viele Leute betreffen – und eben auch diejenigen, die einen Schweizer Pass haben und seit Generationen hier leben.»
Aus der Mitte der Gesellschaft
Diese Sachlage ist zwar bereits bekannt. Doch das Team um Denise Efionayi hat nun im Rahmen einer Metaanalyse erstmals rund 300 Studien aus der Schweiz ausgewertet und auf Erkenntnisse zu Rassismus und Diskriminierung abgeklopft.
Inzwischen liegt die erste Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz vor: «Damit können wir erstmals breit nachweisen, dass es strukturellen Rassismus in der Schweiz gibt», erklärt die Soziologin.
Rassismus ist ein Alltagsphänomen.
Rassismus werde in der Schweiz immer noch als Randphänomen betrachtet, das vor allem radikale Gruppen mit extremistischem Gedankengut betreffe. Dies entspreche aber nicht der Realität: «Rassismus ist ein Alltagsphänomen in der Mitte der Gesellschaft. Und es betrifft sehr viele Ebenen, Institutionen, Praktiken, Denkweisen. Das können wir an konkreten Beispielen empirisch belegen.»
Bedrohte Chancengleichheit
Struktureller Rassismus und Diskriminierung können für die Betroffenen gravierende Folgen haben. «Letztlich werden die Lebenschancen der Betroffenen und auch ihrer Familien eingeschränkt. Die Benachteiligung lässt sich in allen wichtigen Bereichen des Lebens nachweisen: auf dem Wohnungsmarkt, bei der Jobsuche und auch im Gesundheits- oder Justizwesen.»
Damit wird struktureller Rassismus zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem – und das in einem Land, das sich die Chancengleichheit in die Verfassung geschrieben hat.