Die Roman-Trilogie «Herr der Ringe» ist eines der meistverkauften Werke im 20. Jahrhundert und hat bis heute unzählige Fans. Zu ihnen gehört auch Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei «Fratelli d’Italia», die am Wochenende die italienischen Wahlen gewann.
Was macht J.R.R. Tolkiens «Herr der Ringe» für Melonis politisches Weltbild so attraktiv? Christine Lötscher, Professorin für Populäre Literaturen und Medien an der Universität Zürich, über Fantasy-Fantasien, die viel mit Verkürzung zu tun haben.
SRF: Erstaunt es Sie, dass sich Giorgia Meloni für ihre Zwecke auf das Fantasy-Epos «Herr der Ringe» beruft?
Christine Lötscher: Einerseits schockiert es mich, und ich finde es absurd. Aber es erstaunt mich nicht unbedingt. Fantasy wird immer wieder von rechter, konservativer Seite instrumentalisiert. Das hat damit zu tun, dass es in «Herr der Ringe» zwar das Böse gibt, verkörpert durch Sauron und durch die Orks, diese künstlichen Kampfmaschinen.
Literatur ist immer symbolisch und vieldeutig.
Aber eigentlich ist nicht der Kampf Gut gegen Böse das Thema von «Lord of the Rings», sondern wie die Figuren, die auf der guten Seite kämpfen wollen, immer wieder vom Ring, von der Macht also, korrumpiert werden.
Gerade weil das so ambivalent und schwierig ist, finde ich es absurd, die Trilogie auf den Kampf Gut gegen Böse zu reduzieren.
Was macht denn «Herr der Ringe» trotzdem anschlussfähig für eine rechte Politikerin wie Giorgia Meloni?
Weil es darin das absolut Böse gibt, das man bekämpfen kann. Das lädt dazu ein, alles Mögliche darauf zu projizieren. Literatur ist ja immer symbolisch und vieldeutig. Je nachdem, wie man Texte interpretieren will, kann man sie auf eine Art reduzieren, die es einem gerade dient.
Rechte Gruppierungen springen vor allem auf die nordische Mythologie an.
Für Rechtspopulisten anschlussfähig ist der Umstand, dass es diese Völker und Rassen gibt, die in konflikthaften Verhältnissen zueinander leben. Hier werden Krieg und teilweise auch Gewalt idealisiert. Dazu kommt eine gewisse Heldenverehrung.
Worauf rechte Gruppierungen aber vor allem anspringen, ist die Bezugnahme auf die germanische und nordische Mythologie. Mit diesem Material werden neue Geschichten erzählt, die dadurch eine alte Anmutung bekommen.
Aber es ist ein Spiel mit literarischen Formen, mit Überlieferung. Nimmt man das 1:1 als Idealisierung einer mythischen Vergangenheit, kann das problematisch werden.
Gilt denn diese Anschlussfähigkeit nur für «Herr der Ringe» oder generell für das Fantasy-Genre? Man wirft ihm ja immer wieder vor, es habe etwas Reaktionäres und Rückwärtsgewandtes.
Das Fantasy-Genre neigt dazu, Geschichten mit einsamen Helden zu erzählen, die gegen das Böse kämpfen. Aber das müsste nicht sein – und ist auch nicht immer der Fall.
Es gibt feministische Autorinnen wie Ursula K. Le Guin, die schon im 20. Jahrhundert Fantasy in ihrer «Erdsee»-Serie aufgegriffen und etwas anderes daraus gemacht hat. Es gibt sogenannt afrofuturistische Autorinnen und Autoren, die antirassistische, diverse Fantasy schreiben, die sich auch mit Science Fiction vermischt.
Das Genre bietet ein ungeheures Potenzial, um alle möglichen Geschichten miteinander zu verbinden und eben alte Geschichten neu zu erzählen und umzuschreiben. Aber natürlich kann man die alten Geschichten auch reproduzieren. Fantasy ist immer eine Gratwanderung und deswegen auch so spannend.